KINDER TRAUERN ANDERS

Warum es so wichtig ist, bei trauernden Kindern und Jugendlichen genauer hinzusehen.

Kind/Mädchen sitzt an einem Tisch und malt. Man sieht ihr über die rechte Schulter und sieht ihr gemaltes in einem Block: „Mein Papi ist tot” steht in grau geschrieben mit grauen Herzen darum.
Foto: Wolfsträne e.V.

von Wolfsträne und Katrin Gärtner

Wenn ein Mensch stirbt, steht die Welt für einen kurzen Augenblick still – und wenn sie sich dann weiterdreht, ist nichts mehr, wie es war.

Diese schmerzliche Erfahrung haben wir Erwachsene wahrscheinlich alle schon machen müssen. Mit zunehmendem Alter gehören Abschiede von geliebten Menschen leider immer mehr zur Realität. Müssen aber bereits kleine Kinder diese Erfahrung machen, ist ihre Welt in ihren Grundfesten erschüttert und das Erlebte prägt sie für ihr gesamtes weiteres Leben.

Wir Erwachsene tendieren natürlich dazu, Kinder beschützen, ihnen eine heile Welt zeigen, sie vor allem Schlimmen bewahren zu wollen. Doch hilft das in der Situation, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, leider ganz und gar nicht und bewirkt oftmals das Gegenteil. Kinder bekommen alle Stimmungen und Emotionen, die um sie herum stattfinden, ungefiltert mit. Es hilft ihnen nicht zu sagen, dass die Mama doch gar nicht weint, sondern sie eine Fliege im Auge hatte, wenn auch sonst alles ganz traurig und düster wirkt.

Auch Kinder haben eins verdient: die Wahrheit zu erfahren. Und das unabhängig davon, ob die Todesursache ein Unfalltod, ein Suizid oder eine unheilbare Erkrankung ist. Natürlich ihrem Alter entsprechend mit ganz viel Einfühlungsvermögen und kindgerechten Erklärungen. Entgegen unserer erwachsenen Vorstellung können sie mit jeder Form von Wahrheit deutlich besser umgehen als mit einer lieb gemeinten Lüge. Natürlich wollen Eltern ihre Kinder schützen, sind sie doch selbst oftmals völlig sprachlos und erschüttert und können das Geschehene kaum begreifen. Kindern geht das selbstverständlich genauso, aber auch sie haben das Recht, genau diesen Prozess des Begreifens durchlaufen zu dürfen – mit allen Schmerzen und der tiefen Traurigkeit, die das mit sich bringt. Für ihre weitere Entwicklung und spätere psychische Gesundheit ist das die wichtigste Grundlage. 

Und daher gibt es genau das nicht bei Wolfsträne: Ausreden, Notlügen oder phantasievolle Erklärungen für das, was da gerade passiert oder geschehen ist. „Der Papa ist jetzt woanders.“, „Meine Mama ist friedlich eingeschlafen.“, „Meine kleine Schwester wohnt jetzt auf einer Wolke.“ Auf die Folgen dieser Aussagen haben wir nämlich auch keine Antwort: „Aber zu meinem Kindergeburtstag ist der Papa auf jeden Fall wieder da.“, „Ich gehe nie wieder schlafen, wenn ich danach auch nicht wieder aufwache wie die Mama.“, „Aber ich sehe doch gar niemanden da oben auf der Wolke sitzen. Braucht meine Schwester dort nicht vielleicht ein Telefon, damit sie uns wenigstens anrufen kann?“

Dass dies für die unmittelbaren Angehörigen oftmals eine extrem schwere Aufgabe ist, ist ganz klar. Sie sind in ihrer eigenen Trauer gefangen, ihr eigenes Leben wurde ungewollt komplett auf den Kopf gestellt, es sind tausend Dinge zu organisieren. 

Und genau hier kommt der Verein Wolfsträne aus Leipzig und seine professionelle Trauerbegleitung speziell für Kinder ins Spiel. Die vier festangestellten Trauerbegleiterinnen für Akutsituationen und 40 ehrenamtlich Aktiven, die individuelle Einzelbegleitungen und insgesamt 15 Trauergruppen durchführen, bringen genau das mit: Zeit, Einfühlungsvermögen und ganz viel Expertise im Bereich der Kindertrauer. 

Qualifizierte Trauerbegleiter:innen für Kinder und Jugendliche können als neutrale Personen in die Situation hineingehen, nachfragen, zuhören, Unterstützung zunächst beim Zulassen und dann bei der Verarbeitung der Trauer geben. Haben die Kinder Vertrauen gefasst und spüren, wie gut ihnen die Begleitung tut, öffnen sie sich und nehmen die Unterstützung dankend an.

„Werden wir bereits im Sterbeprozess eingebunden, wirkt sich das positiv auf die Trauerbegleitung aus. Die sterbende Mama oder der sterbende Papa baut Vertrauen zu uns auf, weiß, dass ihrem Kind geholfen wird und es nicht alleine mit der Trauer fertig werden muss. Und für die Kinder ist es eine große Stütze, schon jetzt zu wissen, dass es da jemanden gibt, dem ich alle Fragen stellen kann und der mich im wahrsten Sinne des Wortes an die Hand nimmt“, so Katrin Gärtner.

Anders als Erwachsene drücken Kinder ihre Trauer um einen geliebten Menschen nicht durch Worte, sondern vielmehr im Spiel und beim kreativen Gestalten aus. Sie sind in ihrem Trauerverhalten eher sprunghaft. In einem Moment weinen sie und brauchen Trost, im nächsten Augenblick spielen sie wieder vergnügt. Der Trauerprozess von Kindern und Jugendlichen ist nicht so konstant wie der von Erwachsenen, dafür aber oftmals langanhaltender.

Mindestens bis zur Beerdigung werden alle Kinder individuell im häuslichen Umfeld begleitet. Danach ist es das Ziel, die Kinder in eine der Trauergruppen zu integrieren, die im vierzehntägigen Rhythmus stattfinden. In kleinen Gruppen mit gleichaltrigen anderen Betroffenen erfahren sie, dass sie nicht das einzige Kind auf der Welt sind, dem solch ein Schicksalsschlag widerfahren ist. Und plötzlich merken sie auch, dass andere Betroffene vor denselben Herausforderungen stehen, dieselben Gefühle haben und sich von anderen genauso unverstanden fühlen. Wie lange eine solche Begleitung dauern sollte, ist dabei ganz unterschiedlich und individuell zu entscheiden.

Eine Lösung muss und kann schließlich nicht immer ein sofortiges Ergebnis liefern, es kann auch erst langfristig eine positive Veränderung bewirken. Das ist auch das Ziel, was eine professionelle Trauerbegleitung bewirken soll. Die Vermeidung späterer psychischer und physischer Spätfolgen, die oftmals gar nicht als solche erkannt werden, was eine Heilung umso schwerer macht. Persönlichkeits- und Angststörungen, Depressionen, Zwangserkrankungen. Das sind nur einige mögliche psychische Erkrankungen, die eine nicht verarbeitete Trauer auslösen kann. 

„Trauern ist die Lösung – nicht das Problem“ (Chris Paul) ist ein Satz, der bei Wolfsträne groß an der Wand steht.

Wolfsträne wurde für seine Arbeit schon mehrfach ausgezeichnet: 2018 mit dem Sonderpreis der Bundeskanzlerin im Rahmen von startsocial, 2019 mit dem Familienfreundlichkeitspreis der Stadt Leipzig und 2020 mit dem Deutschen Engagementpreis in der Kategorie „Leben bewahren“.  

Wer mehr über die Arbeit von Wolfsträne erfahren möchte, findet weitere Informationen auf der Homepage www.wolfstraene.de, bei Facebook (Wolfstraene Leipzig) oder Instagram (wolfstraene_verein)

Da Trauer keine anerkannte Symptomatik darstellt, erhält der Verein keinerlei Unterstützung durch Krankenkassen und finanziert seine Arbeit ausschließlich über Spenden. 

Spendenkonto:
IBAN DE89 8605 5592 1090 1651 17
BIC: WELADE8LXXX
Paypal: info@wolfstraene.de

Kind bemalt einen Sarg.
Foto: Wolfsträne e.V.
Porträtfoto Katrin Gärtner, Katrin sitzt auf einer Bank am Strand mit Kies und lächelt in die Kamera

Über die Autorin: Katrin Gärtner ist Gründerin und Geschäftsführerin von Wolfsträne e.V., einem Leipziger Verein, der trauernde Kinder und Jugendliche nach dem Verlust eines Elternteils oder eines Geschwisterkindes begleitet. Sie ist 40 Jahre alt, heute selbst Mama eines kleinen Sohnes und hat ihre Mama mit 14 Jahren verloren. Was es bedeutet, als Kind bzw. Jugendliche nicht zu trauern, hat sie selbst erst sehr viele Jahre später schmerzlich erfahren müssen. Dies möchte sie anderen Kindern und Jugendlichen gerne ersparen und hat daher 2017 Wolfsträne gegründet. Der Verein ist mittlerweile zu einer nicht wegzudenkenden Stütze für alle jungen Trauernden in Leipzig und Umgebung geworden. Er begleitet Familien nunmehr auch bereits im Sterbeprozess bei nicht heilbaren Erkrankungen.