OB SEIN LETZTER LOOK POLYESTER ENTHIELT, HABEN WIR UNS DAMALS NICHT GEFRAGT.
von Jennifer Sonntag
Während ich in anderen Lebensbereichen ein differenziertes Klimabewusstsein ausgeprägt habe, reflektiere ich mein „Bestattungswissen“ in dieser Hinsicht weniger eifrig. Ernährung, Verpackung, Mode- und Kosmetikindustrie, Energieverbrauch und Reisen, das alles hinterfrage ich bewusst. Aber wie ist es mit unserer letzten Reise? Es ist Zeit, auch dieses Thema mit Fingerspitzengefühl anzugehen.
Mit dem Thema Erdbestattung war ich erstmals nach dem Suizid eines guten Freundes konfrontiert. Damals lag unser Fokus noch wenig auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit, bedeutete für einige aus der Szene, unseren Freund inklusive, Grabbeigaben so lange wie möglich vor dem Verfall zu schützen. Es wurde sogar über ein Sargmodell beraten, was diesen Prozess möglichst lange verzögern könnte. Hier kollidierten bereits verschiedene Einstellungen und Glaubensrichtungen der Involvierten. Bei einigen schwang der Wunsch mit, unser Freund möge mit seinen Dreingaben in ein anderes Reich übergehen oder irgendwann damit wieder auferstehen. Ich konnte die Sargbestattung wegen dieser Auseinandersetzung auch weniger gut verarbeiten, da ich mir nun ständig vor dem geistigen Auge vorstellte, welches Bild der Verstorbene, mit Hut und Didgeridoo ausgestattet, unter der Erde wohl gerade abgab. Ob sein letzter Look Polyester enthielt, haben wir uns damals nicht gefragt, und die Natur wird an den Stahlkappen in seinen Boots ganz schön zu kauen haben. Aber wir sammelten ihm Naturblumen, das war sein Wunsch im Abschiedsbrief, an regionalen Orten, die er liebte. Und wie ich heute weiß, lagen wir da wenigstens in diesem Punkt ganz vorne bei der Gestaltung klimafreundlicher Bestattungen.
Bewusster in Berührung mit Umweltaspekten in diesem Kontext kam ich zur Urnenbeisetzung meiner Oma. Da ich nicht sehen kann, wurde mir erlaubt, die Urne nach der Trauerfeier zu erfühlen. Meine Mutter flüsterte mir ins Ohr, dass diese Urne biologisch abbaubar sei. Sie hatte sie nicht deshalb ausgesucht, sondern weil sie meiner Oma gestalterisch gefallen hätte und weil ich beim Abschiednehmen darauf eine Applikation zum Ertasten vorfinden würde. Für mich war das in doppelter Hinsicht ein stimmiges Gefühl, weil meine Oma in dieser schönen Urne würdig bestattet wurde und dennoch nicht für immer darin eingesperrt bleiben sollte. Unstimmigkeiten hingegen kamen bei der Lieferung des Grabsteins auf: zweimal das falsche Modell. Und in dieser schwierigen Lage schwand unser Vertrauen zum Steinmetz. Inzwischen weiß ich, dass man auch auf dieses Geschäft mit Bedacht blicken muss und dass an einem Großteil der Grabsteine auf deutschen Friedhöfen Kinderarbeit und Ausbeutung klebt. Während wir privilegiert sterben, können andere nicht mal im Ansatz privilegiert leben.
Erstmals selbst eine Bestattung in die Hand nehmen musste ich, als meine Hündin verstarb. Hier zählten ganz andere Gedanken der Nachhaltigkeit. Meine Hunde sind für mich enge Lebensbegleiter und es war für mich klar, dass ich das geliebte Wesen nicht „beim Tierarzt“ lassen würde. Da es blindheitsbedingt für mich zu umständlich gewesen wäre, Metaxa regelmäßig auf einem Tierfriedhof zu besuchen, war ich dankbar für die Möglichkeit, sie in einer kleinen Urne zu mir zu holen. Menschen, die keine so emotionale Bindung zu Tieren haben, mag das befremden, aber auch mein aktueller Blindenführhund, der hoffentlich noch lange an meiner Seite bleibt, ist mir ein so wichtiger Gefährte, dass ich ihm auch über seinen Tod hinaus noch sehr verbunden sein werde. Interessant ist für mich deshalb die Idee von Mensch-Tier-Friedhöfen, die es leider in unserer Region noch nicht gibt. Es wäre ein großer Wunsch, nicht irgendwo in der Ferne begraben zu sein, sondern auf dem heimischen Friedhof, wo wir zusammen die wundervollsten Spaziergänge erlebten. Leider ist es auch nicht nachhaltig, wenn man für alternative Bestattungswünsche weit reisen muss. Ich hoffe irgendwann, mit meinen treuen Begleitern gemeinsam auf unserem Friedhof in einem klimafreundlichen Urnengrab vereint zu sein, und möchte auch deshalb die Asche meiner Hunde aufbewahren.
Über das Thema Bestattung, auch über die eigene, nachzudenken, ist bereits ohne Klimaschutz im Hinterkopf eine Herausforderung. Ich möchte meine Lieben oder mich selbst weder im Feuer noch unter der Erde sehen. Dass beides die Umwelt immens belastet, steht außer Frage. Verbrennungsmethoden mit wenig CO2-Ausstoß und menschliche Kompostierung ohne klassisches Erdmöbel für die Umwelt machen diese klimabewussten Bestattungsmethoden schon einen entscheidenden Unterschied, entscheiden kann ich mich aber dennoch schwerlich, was die emotional verträglichere Lösung für mich wäre. Vielleicht im wahrsten Wortsinn Auflösen, am besten in klimaneutralem Wohlgefallen, in einer Lauge, wie es bei der alkalischen Hydrolyse umgesetzt wird? Aber als bräunliche Schlotze durch den Abfluss wegbestattet zu werden, wenn auch vergleichsweise umweltbewusst, ist aktuell auch keine reizvolle Vorstellung für mich. Dann vielleicht doch lieber die Promession, eine ökologische Bestattungsvariante, bei der mensch in ein Bad aus flüssigem Stickstoff getaucht und anschließend gefriergetrocknet wird? Durch dieses Verfahren pulverisiert der Körper, was meiner romantischen Idee, am Ende meiner Tage in Zauberstaub zu zerfallen, am nähesten kommt.
Und gibt es letztlich nicht auch etwas von uns, was nicht in Staub zerfallen oder in der Unsichtbarkeit verschwinden muss? Unser Engagement, unsere Werke, unser digitales Erbe? Alles, was wir im positiven Sinne bewegt, bewirkt oder mitgestaltet haben, was anderen geholfen hat oder die Gesellschaft positiv mitprägte? Ist das nicht auch nachhaltig? Das wurde mir sehr bewusst bei meiner Mitwirkung an einem Projekt des Halleschen Stadtmuseums. In den „Geschichten, die fehlen“ gab es Raum für einen persönlichen Museumstisch und das war gleichzeitig eine wertvolle Übung: Schon zu Lebzeiten mit Bedacht Objekte aus dem eigenen Wirkungsfeld auszuwählen, die für Menschen in 100 Jahren vielleicht einmal bedeutsam erscheinen könnten. Diese Erfahrung ist tiefgreifend für das gesamte weitere Leben. Was soll von uns bleiben? Was haben wir mit Herzblut und Schöpferkraft in die Welt gebracht? Was dürfen wir auch immer wieder neu hinterfragen? Es ist letztlich nicht nur interessant, was wir von der Welt hatten, sondern die Welt von uns.
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #15 „Umwelt und Tod” (Nov 2022).
Über die Autorin: Jennifer Sonntag ist Diplom-Sozialpädagogin, Fachjournalistin und Buchautorin. Für die ARD war sie von 2008 bis 2022 als blinde Moderatorin und Kolumnistin in eigenen TV-Formaten tätig. Heute arbeitet sie frei für verschiedene Online-, Audio- und Printmedien. Als Inklusionsaktivistin engagiert sie sich für bessere Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen und richtet dabei ihr Augenmerk insbesondere auf die Benachteiligungen behinderter Frauen.
Autorinnenfoto: privat
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