WIE GESELLSCHAFTSFÄHIG IST DER TOD?

Buchbesprechung von „#nichtgesellschaftsfähig – Tod, Verlust, Trauer und das Leben“

Cover „#nichtgesellschaftsfähig – Tod, Verlust, Trauer und das Leben”: Lotos-Blumen und dunkle Wellen
Cover: Schwarwel

von Verena Hohmann

Wie kann der Tod stärker in das Bewusstsein unserer Gesellschaft gebracht werden? Die einen begegnen ihm mit Angst. Andere gehen den humorvollen, verspielten Weg. Wieder andere setzen sich sachlich mit den Aspekten rund um den Tod und die Trauer auseinander. Und noch immer zu viele verdrängen das Thema als #nichtgesellschaftsfähig – das finden Sandra Strauß und Schwarwel, die das unter dem Hashtag entstandene Buch „Tod, Verlust, Trauer und das Leben“ herausgegeben haben.

Das Werk reiht sich jüngst hinter das Buch „Alltag mit psychischen Belastungen“ ein, beide im Glücklicher Montag Verlag erschienen.

Über 80 Autorinnen und Autoren versuchen, sich der eingangs gestellten Frage zu nähern. Unter ihnen auch bekannte Gesichter wie Markus Kavka, Anja von Kampen, Luci van Org, Ralph Caspers und Sarah Benz sowie weitere Stimmen unter anderem aus Musik, Film, Philosophie, aus der Bestattungsbranche und nicht zuletzt aus der Hospizbewegung, aus Wissenschaft und Psychologie. 

EIN NACHSCHLAGEWERK – KEIN FACHBUCH

Dem Leser wird schnell deutlich: Hier ist nicht ein Aspekt aus dem Kontext genommen und umfassend beleuchtet, sondern die Vielfältigkeit des Themenkomplexes wird angerissen. Die Tür, durch die der Leser hindurchgehen darf, ist nur angelehnt. Er findet sich in einem Raum wieder, in dem er sich seinen eigenen Zugang aussucht, seinen eigenen Umgang mit dem Tod findet. „Das Buch richtet sich an Betroffene aus allen gesellschaftlichen Bereichen und ,Szenen’“, sagt Schwarwel. „Es soll ihnen helfen, während sie einen Verlust zu betrauern haben, genauso wie denjenigen, die seit Ewigkeiten um das Thema herumtänzeln und keinen Weg der Auseinandersetzung finden.“ Um ein Fachbuch handelt es sich laut Schwarwel und Sandra Strauß nicht, vielmehr um eine Abbildung verschiedener Meinungen von Autoren, die im Besonderen mit dem Themenkomplex Tod, Verlust und Trauer vertraut sind. 

Schwarwel war – wie auch schon beim ersten Buch der Reihe – als Illustrator dafür zuständig, das Erscheinungsbild entscheidend zu prägen. Die Gestaltung trifft den Zeitgeist und ist offensichtlich bewusst nicht zu blumig, auch wenn Blumen das Cover prägen. Seine Kunstwerke romantisieren den Tod nicht. Sie berühren und rütteln wach. Und sie verleiten den Betrachter, das Buch häufiger als einmal in die Hand zu nehmen. 

ENTTABUISIERUNG – DAS IST EIN FORTWÄHRENDER PROZESS

Der Hashtag #nichtgesellschaftsfähig, unter dem auch die im Buch dargestellten Statements auf Instagram und Facebook zu finden sind, vereint Stimmen und Meinungen rund um das Thema. Es schafft einen weiteren Schritt zur voranschreitenden Enttabuisierung und bringt den Tod ein Stück weiter in Richtung Mitte unserer Gesellschaft. Es zeigt, dass Tod, Verlust und Trauer „salonfähig“ sind und zum Leben dazu gehören. 

Wer sich in dem Raum der vielen Zugänge und Themenkomplexe rund um den Tod Orientierung verschafft, erweitert nicht nur seinen Horizont. Er rückt auch sein eigenes Leben unwillkürlich ins Zentrum und bereichert es durch seine persönliche „Endlichkeitskultur“. Im Interview mit Sarah Benz findet sich auf Seite 561 ein stimmiger Schlusssatz: „Dem Tod ist es herzlich egal, ob eine Gesellschaft fähig ist, mit ihm umzugehen. Aber wir haben etwas zu gewinnen, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen.“ 

Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #15 „Umwelt und Tod” (Nov 2022).

Porträtfoto Verena Hohmann

Über die Autorin: Verena Hohmann ist freie Journalistin, Fachautorin und Inhaberin der Kommunikationsagentur Hohmann Design und Text GbR im westfälischen Münster. Nach ihrer Ausbildung zur Bestattungsfachkraft studierte sie Linguistik an den Universitäten Erfurt und Düsseldorf. Außerdem ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung Deutsche Bestattungskultur für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Das Bestatterhandwerk sowie die Enttabuisierung von Tod und Trauer sind ihre Themen. 

Alle Beiträge von Verena Hohmann gibt es hier.

Autorinnenfoto linke Seite: privat