TODCAST-TIPP von Jennifer Sonntag
Rund um Tränen, Trost und Trauer
„Sterben für Anfänger – Der Palliativ-Podcast”
Auf einer unserer Hunderunden sprach ich mit meinem Vater über das Sterben. Ich erzählte ihm von meiner Angst, dass mir am Ende meines Lebens niemand nahestehen wird, weil ich kinderlos geblieben bin. Seine Angst hingegen: im letzten Lebensabschnitt nicht selbst bestimmen zu können, wann es genug ist.
Dann stieß ich auf einen Podcast, der beide Ängste einfing und für mich zum bisher eindrücklichsten Deep Dive in das Thema Sterben wurde.
„Sterben für Anfänger“ ist ein Podcast für Menschen, die das Lebensende nicht tabuisieren, sondern verstehen wollen. Schließlich kommt aus diesem Leben keiner lebend raus – so das Credo des Palliativteams Nordhessen. Der Tod ist das eine. Aber das Sterben … Wie geht das eigentlich? Der Podcast zeigt, wie wir Angehörige beim Sterben begleiten können, welche Möglichkeiten die Palliativversorgung dabei bietet – und was für unsere letzte Reise wirklich zählt.
Fachkräfte und ausgesuchte Gäste beleuchten im Podcast, was Palliativversorgung notwendig macht und wie der Arbeitsalltag im Team aussieht, auch über die rein medizinische Betreuung Sterbender hinaus. Es geht um das Verständnis der Sterbephasen, um die oft fehlinterpretierte Rasselatmung, um die Frage, was ein gutes Sterben ausmacht und wie man dem sogenannten „Total Pain“ angemessen begegnet – einem Leid, das trotz maximaler Schmerztherapie bestehen bleibt. Auch sensible Themen wie palliative Sedierung und Sterbefasten werden offen behandelt. Dabei wird klar: Weder das eine ist aktive Sterbehilfe noch das andere ein begleiteter Suizid.
Hospize werden als unterstützende Orte vorgestellt, die nicht nur Sterbende, sondern auch deren Familien auffangen – und die vielleicht sogar ein bisschen wie ein Hotel, nicht wie ein Sterbehaus, wahrgenommen werden dürfen. Besonders berührend: das Projekt „Familienhörbuch“, das sterbenden Eltern ermöglicht, eine bleibende Erinnerung für ihre Kinder zu hinterlassen.
Mit Olivia Jones und der gleichnamigen TV-Sendung hat der Podcast übrigens nichts zu tun, auch wenn er thematisch verwandt ist. Nach dem Hören habe ich jedenfalls ein kleines Stück Hoffnung gewonnen: Vielleicht werde ich auch ohne Nachkommen am Ende meines Lebens gut begleitet sein. Meinem Vater werde ich erzählen, dass es jenseits der aktiven Sterbehilfe dank Palliativversorgung viele andere Wege gibt, würdevoll zu sterben.
Das Palliativteam Nordhessen sorgt übrigens auch auf Instagram lebhaft dafür, dass Tod und Sterben keine gesellschaftlichen Randthemen mehr bleiben: @palliativteam_nordhessen
„Día de los Muertos – Mexikos Tag der Toten“
Sie sind inzwischen zu fünft und wachen aus ihren kunstvoll geschminkten Totenkopfgesichtern über mein Schreiben, mein Schlafen und mein Sein. Um Mia Morgan zu zitieren, trösten sie mich in „schlimmen und in schlechten“ Zeiten. Für mich schufen sie den Zugang zu Trauerritualen, die ich in meiner Kultur lange vermisste: meine Dia-de-Muertos-Puppen. Aber ist das schon eine Art kultureller Aneignung, mir eine mexikanische Bewältigungsstrategie ins biodeutsche Regal zu stellen? Ich suchte Antwort in der Podcast-Landschaft.
„Bunt, laut und vollgestopft mit gutem Essen“ empfängt mich das WDR-Zeitzeichen „Día de los Muertos – Mexikos Tag der Toten“. Ich lerne den Feiertag als eine Mischung aus Jahrtausende alten Traditionen, christlichen Einflüssen und einem aktuellen James-Bond-Film zu verstehen. Während es für viele Deutsche an Allerseelen eher still zugeht, während sie ihren verstorbenen Angehörigen gedenken, wird in Mexiko am Día de los Muertos musiziert und getanzt, reichlich gegessen und getrunken. Schließlich kehren die Seelen der Lieben für einige Stunden zurück und sie sollen es gut haben. Der Schleier zwischen den Welten wird aber auch in anderen Kulturen an bestimmten Feiertagen dünner. So wandelte erst das Christentum das keltische Fest Samhain, zu dem auch Speisen für die Ahnen bereitgestellt wurden, in „Allerseelen“. Was wir heute als Halloween kennen, modernisiert und integriert viele dieser Einflüsse.
Im „Leben und lassen“-Podcast des Forum Dunkelbunt e.V. erlebe ich ebenfalls eine intensive kulturelle Begegnung und keinesfalls den Vorwurf der kulturellen Aneignung. Alexander Lategahn und Kathrin im Winkel haben sich in ihre erste Folge die Organisator:innen des „Fests der Toten“ in Dortmund, Virgina Novarin und Josue Partida, eingeladen. Der mexikanische Musiker Josue erzählt, warum es ihm wichtig war, den Día de los Muertos aus seiner Heimat nach Deutschland mitzubringen. Er hatte ihn zunächst nur in seinem privaten Umfeld gefeiert und die argentinische Künstlerin Virgina hatte das kreative und verbindende Potenzial dahinter entdeckt. Im Podcast erfahre ich, wie die Überführung des Día los Muertos in unsere Kultur gelingt und der Einfluss künstlerischer Neuinterpretationen die Tradition bereichert, wie unterschiedlich man in Mexiko mit dem touristischen Hype rund um den medienwirksamen Feiertag umgeht und welche Rolle Spottbilder und Humor im Umgang mit dem Tod spielen. Es wird deutlich, dass es auch innerhalb der Kulturen regional unterschiedliche Trauerrituale gibt und dass Kunst auch immer von einzelnen Personen geprägt wurde, auf die man unterschiedlich blickt. Und Mexiko ist nicht gleich Mexiko. Wünschenswert sind mehr dieser internationalen Stimmen innerhalb der deutschen Todcast-Szene, Menschen, die einen Teil ihrer Trauerkultur in unsere tragen und dadurch einen vielfältigeren Umgang mit Verlusterfahrungen ermöglichen.
„Trauer und Turnschuh“ +
„entwurzelt – Der Podcast über Flucht und Vertreibung nach 1945“
Meine Ohren durften sich bereits vielen Facetten der Trauer widmen. Für die aktuelle drunter+drüber suchte ich jedoch lange nach einem Podcast, der das Schwerpunktthema „Heimat und Tod“ auf eine Weise aufgreift, die mir im Diskurs häufig noch fehlt, auch mit Blick auf Krieg und Trauma, mit Bewusstsein für Erinnerungskultur, gern aus intersektionaler und marginalisierter Perspektive.
Ich wurde fündig. In „Trauer und Turnschuh“ sprechen die Journalistin Hadija Haruna-Oelker und der Schriftsteller Max Czollek darüber, was unser Gestern mit unserem Heute macht. Sie nennen es „die emotionale Afterhour der Vergangenheit“. Ein Geschichtspodcast ist das wahrlich nicht, denn während der Produktionsphase wurden die Themen Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Populismus und Polarisierung aktueller, als es die beiden hätten erahnen können. Dabei waren zuvor schon so viele Umgangsformen nicht gefunden, Heimaten verloren, Tote zu beklagen, Wunden nicht geheilt. Im Podcast folge ich Gedankengängen, die mir im allgemeinen Trauerkontext oft fehlen, und werde thematisch an die Hand genommen, wo auch ich mich heimatlos fühle. Ich nehme die Komplexität im belasteten Sujet an und erlebe empowernde Gegenwartsbewältigung. Auch wenn es in diesem Podcast nicht in erster Linie um den Tod geht, betrauern viele von uns doch ihre Toten darin. Nicht zuletzt ist der Podcast auch eine Auseinandersetzung mit dem Sterben der Täter, mit dem Sinn von Aktivismus und Demonstrationen und mit der Heimat, in der wir (nicht) leben wollen.
Ich möchte einen zweiten Podcast empfehlen, in dem ich auf „meine Toten“ diesmal nicht als Angehörige einer marginalisierten Gruppe, sondern als Angehörige heimatvertriebener Menschen treffe. In ihrem achtteiligen Podcast „entwurzelt – Flucht und Vertreibung nach 1945“ begibt sich Laura (ihren Familiennamen erfahren wir nicht) auf die Spuren ihrer Großeltern. Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges hatten Millionen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten ihre Heimat verloren. Der Tod war allgegenwärtig. Wie musste sich das für ihre Großeltern angefühlt haben, die damals noch Kinder waren? Warum wissen wir oft so wenig über die Vertreibungen und warum wurden die damit verbundenen Traumata selten bearbeitet? Was bedeutet das für uns als Enkelgeneration heute? Der Podcast geht aber auch der Frage nach, ob sich Deutsche mit ihrer Erfahrung von Entrissenheit und Verlust, Tod und Trauma überhaupt als Opfer fühlen dürfen, ging doch der Angriffskrieg gegen Polen von Deutschland aus. Es bleibt das Fazit, dass man individuelles Leid schwer gegeneinander aufwiegen kann. Angesichts aktueller Wahlergebnisse und Kriegsgeschehnisse finde ich in beiden Podcasts Raum für Trauer, Verständnis für meine Ängste und Gedankenheimat in einer Zeit, in der ich mich oft ratlos und verloren fühle.
Ich bin hier und du bist tot – Der Trauerpodcast
„Willkommen im Club … in dem du niemals sein wolltest“, begrüßen uns Stephi und Jenni in ihrem Podcast. Weiter heißt es: „Es tut uns wirklich leid, dass du einen Grund hast, hier zu sein. Trotzdem freuen wir uns sehr darüber, dass du da bist“. Zum Club gehören alle, die einen nahen Menschen verloren haben oder die das Thema Trauer bewegt.
Aus Sicht der beiden „Ich bin hier und du bist tot“-Hosts gibt es viel zu viele Mythen und falsche Erwartungen von Menschen, die sich mit dem Trauerthema nicht auskennen. Mit Anfang 30 haben Stephi und Jenni plötzlich ihre Partner verloren. In ihrem Podcast, den sie eigenständig produzieren, setzen sie sich mit Themen auseinander, die ihnen auf der Seele brennen oder die sie endlich einmal klarstellen wollen. So widmen sie sich in den einzelnen Folgen überwiegend im Dialog immer einem bestimmten Schwerpunkt: Wie geht Trauern überhaupt? Wo finden wir Trauer in guten Büchern, Filmen und Serien? Was triggert und was hilft? Trauern Männer anders als Frauen? Warum sollte man Trauernde nicht miteinander vergleichen?
Besonders zwei Episoden sind mir mit Blick auf den Titel der vorliegenden drunter+drüber-Ausgabe „Sex und Tod“ in Erinnerung geblieben: „Dating und Trauer – Wann ist der richtige Zeitpunkt?“ und „Trauer und Liebe – Wenn eine neue Partnerschaft dazu kommt“. Stephi und Jenni räumen mit dem Vorurteil auf, dass die Trauer überwunden ist, wenn man anfängt, sich wieder zu verabreden. Sie fragen sich selbst, wann man mit dem Daten anfangen sollte. Und wie ist es dann für die beiden, neben ihren verstorbenen Partnern, neue Männer in ihr Leben zu lassen? Welchen Platz bekommt die frühere Partnerschaft in der neuen Beziehung und ist es leichter oder schwerer, wenn die andere Person auch jemanden verloren hat? Später im Podcast werden auch Schwangerschaft und Verlusterfahrung eine Rolle spielen. Gerade das Thema Liebe/Sex/Partnerschaft wird vor dem Hintergrund der Verlusterfahrung mit den damit verbundenen Gefühlen sehr gut ein- und aufgefangen.
„Trauer ist kompliziert. Wir reden drüber!“, schreiben die beiden auf ihrer Website. Was sie sich vorgenommen haben, gelingt einfühlsam und authentisch. Sie geben Betroffenen die Stimme, die ihnen gerade am Anfang ihres Trauererlebens gefehlt hat. Wer nicht selbst trauert, erfährt im Podcast, was trauernde Freunde oder Angehörige unterstützt und wodurch sie sich verstanden fühlen.
endlich. Wir reden über den Tod
Auch der „endlich-Podcast“ ist endlich! Susann Brückner und Caroline Kraft sprachen fünf Jahre lang öffentlich über den Tod. Die beiden früheren Kolleginnen und späteren Freundinnen hatten nahestehende Menschen durch Suizid verloren. Es gelang ihnen nicht nur, miteinander und mit ihren Gästen innerhalb und außerhalb der „Todesblase“ ins Gespräch zu kommen, sondern das Thema Sterblichkeit aus dem privaten Raum, ohne dass die Hörerschaft peinlich berührt zurückblieb, Podcast-fähig zu machen. Meine Ohren erlebten eine echte „Entjungferung“, als ich begann, mich in die Themen Tod und Trauer einzuhören. Was mich ansprach, war der niedrigschwellige Peer-Gedanke der beiden. Lernen am und Erkennen im Gegenüber und im Gegensatz, ein Entwickeln miteinander, ganz viel Reden und Weite, wo vorher nur Schweigen und Enge waren. Gerade in den Anfängen gab es kaum Medienformate, die sich des Themas annahmen und noch wenig Vergleichbares zum Reinfühlen und Anhören von Betroffenen selbst.
Punk und Popkultur, Tiere und Tod, Sternenkinder und Seelsorge, Sex und Trauer, Leben mit einer tödlichen Krankheit, Hinterfragen von Suizidassistenz, Trauer versus Depression – das sind nur einige der über 60 Themen, welche die Hosts als Duo oder mit ihren Gästen aufbereiteten. Wir, die Community der Sterblichen, profitieren von dem Gefühl, ganz ungezwungen mit am Tisch zu sitzen und mit all unseren Unsicherheiten und in unserer Verschiedenheit im Umgang mit Trauer abgeholt und zugelassen zu werden. Unterkühlte oder gar überhebliche Expertisen bleiben uns erspart und doch nehmen wir Wissenswertes und Hilfreiches mit. Während die Trauerbranche mit ihren Angeboten oft versuchen möchte, die Mitte der Gesellschaft für ihr Sujet zu gewinnen, zeigt die trauernde Mitte hier, welche Fragen und Bedürfnisse sie hat. Am Ende entscheiden wir uns vielleicht sogar für eine ganz andere Lebens- und Sterbensart, als wir vor dem Hören des Podcasts dachten.
Das umfangreiche Audiomaterial von Susanne und Caroline bleibt weiterhin abrufbar. In ihrer Abschiedsfolge wurden die beiden gefragt, ob sie glauben, dass ein toter Podcast wieder auferstehen kann. Das lassen sie offen, denn eines hat uns nicht zuletzt der Endlichkeits-Podcast gelehrt: Unsere Leben und Erkenntnisse sind in Bewegung und so auch unsere Pläne. „endlich. Wir reden über den Tod“ war sicher auch impulsgebend für Carolines taz-Kolumne „Schluss jetzt“ und das gemeinsame Buch „endlich. Über Trauer reden“, was es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.
Radieschen von unten – Der Podcast mit dem Tod
Einen humorvolleren Titel für einen Todcast hätte ich mir selbst wohl kaum ersinnen können. Mit „Radieschen von unten“ verschwistern Sissi Metschke und Jan Edler bei MDR Jump zwei unterschiedliche Stimmen und Stimmungen auf pietätvolle und unterhaltsame Weise. Es geht um den Tod und um Leichtigkeit in diesem schweren Sujet.
Als langjährige Moderatorin führt Sissi Metschke Gespräche zu allen möglichen Dingen. Was aus ihrer Sicht aber bei den meisten Menschen einen regelrechten Fluchtreflex auslöse, seien die Themen Verlust, Tod und Beerdigungen. „Dabei denke ich, dass wir viel mehr über den Tod sprechen sollten. Wir machen uns damit den Umgang mit dem Sterben und allem, was damit zu tun hat, leichter“, sagt sie. Als Trauerrednerin versucht sie, Menschen in schwierigen Situationen zu unterstützen. Anliegen des gemeinsamen Podcasts mit Jan Edler ist es, den Tod in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.
Wenn ich den beiden zuhöre, ist mein Fluchtreflex ausgeschaltet. Ich möchte verweilen und die Ohren nicht verschließen, fühle mich an die Hand genommen, vielleicht auch, weil die beiden wie ich in Halle aktiv sind und hier schon mal örtlich der Zugang gelegt ist. Aber das ist es nicht allein. Für mich ist spürbar: Jan Edler ist Bestatter aus Leidenschaft und trägt humor-, aber auch deutlich würdevoll durch sein Thema. In seinem Beruf überführt er Verstorbene, organisiert Beerdigungen und spendet Hinterbliebenen Trost. Das Beerdigungs-Geschäft kennt er mit all seinen Tücken seit vielen Jahren.
Die beiden sprechen laut Podcast-Beschreibung mit Menschen in der Fußgängerzone über das Sterben, besuchen Friedhöfe in Ostdeutschland und klären viele Fragen rund um das Thema Tod. Sie reden darüber, wie Wachsleichen entstehen, über verschiedene Bestattungsrituale, Songs, die man auf Beerdigungen besser niemals oder unbedingt spielen sollte, und teilen tiefe Geschichten, die berühren und anregen. Anregen? Ja, hier stimme ich der Beschreibung zu. Ich beginne ganz von selbst zu reflektieren und mich fast beschwingt dem ungeliebten Thema zu nähern. Das Duo beschäftigt sich außerdem im Austausch mit Expert:innen mit der Psychologie des Trauerns und mit den Gegensätzen Vergänglichkeit und Unsterblichkeit, belebende Lerneffekte, auch über regionale Grenzen und den reinen Bestattungskontext hinaus.
Nachruf auf mich
In meiner Kolumne für die vorliegende Ausgabe der drunter+drüber habe ich mich überwiegend gefragt, welche Spuren wir für Klima, Umwelt und Mitmenschen nicht hinterlassen sollten. Was aber darf, ja muss sogar bleiben? Das Wissen, die Werte und Werke vieler Menschen können im positiven Sinne nachhaltig wirken und müssen nicht bestattet werden.
Der Podcast „Nachruf auf mich“ inspirierte mich dazu, über das nachzudenken, was von uns nachhallt. Prominente Gäst:innen bekommen hier bereits zu Lebzeiten ihren fertig produzierten Nachruf auf die Ohren. Egal ob prominent oder nicht, beim Verlesen des eigenen Nachrufs ist mensch üblicherweise nicht mehr dabei. Im Podcast darf die betreffende Person jedoch ihren Nachruf quicklebendig auseinandernehmen und gegebenenfalls korrigieren. Das ist unterhaltsam, regt aber auch dazu an, den roten Faden im eigenen Leben zu suchen und zu finden. Andererseits stellt sich die Frage danach, welches Bild man nach dem eigenen Tod hinterlassen und was man weitergeben möchte. Das ist nicht für alle, die im Leben viel bewegten, gleichermaßen von Bedeutung. Moderatorin Jule Lobo möchte im Podcast von prominenten Gäst:innen wie Jennifer Weist, Marteria, Anna Thalbach oder Heinz Strunk wissen: Was bleibt von Dir? Was kommt noch? Wie stehts um deine Lebensbilanz? Und wie willst du sterben? „Ein Podcast mit außergewöhnlichen Gesprächen, mit Tiefe und Emotion, aber auch mit viel Lachen und nie gehörten Anekdoten. Man stirbt schließlich nur einmal … Oder doch nicht?“, lockt die Podcast-Beschreibung.
„Nachruf an mich“ ist eine Produktion von zebra-audio.net GmbH & Co.KG und Medienproduktion München GbR.
Auch wenn Nachrufe prominenter Menschen einen gewissen Unterhaltungswert versprechen und das auch Anliegen des Podcasts ist, motiviert er mich, mir mit dem „Nachruf-Blick“ das Leben und Wirken von engagierten Menschen im Alltag anzuschauen und es zu würdigen, auch mein eigenes Denken und Handeln zu hinterfragen, um im Rahmen meines Einflussbereiches zu Lebzeiten gegebenenfalls Korrekturen vornehmen zu können.
Sick of it – Statements einer Sterbenden
„Bloß kein pietätloser Inspiration-Porn für alle, die weiterleben dürfen!“, dachte ich, als mir eine gute Freundin diesen Podcast ans Herz legte. In meinen Ohren bimmelten erstmal nur die Alarmglocken. Hatten sich sensationsheischende Journalisten an die Fersen einer dem Tode geweihten Frau geheftet, weil sie wussten, dass sowas den Voyeurismus derer nährt, denen es zu gut geht? Nein, es ist alles ganz anders!
„Sick of it“ ist der Podcast von Franziska Knost. Ist sie die Sterbende? Für mich ist sie zunächst eine Stimme, die hinterm Mikro ziemlich professionell klingt. Kein Wunder, man kennt sie als ausgebildete Sprecherin u. a. vom WDR. Und ja, sie ist die Sterbende. Mit drei verschiedenen Krebserkrankungen hatte sie in den letzten 20 Jahren bereits Bekanntschaft schließen müssen, die vierte nun würde sie umbringen. Der Podcast reißt mich hin und her, gerade weil er kein Ratgeber für ein sinnerfülltes Leben und kein Leit(d)faden mit Mut-Mach-Mantren ist. Und folge ich Franziskas Statements, will er erstrecht kein „‚How-to-cancer“ sein. Aber was will er dann? Es gibt kein Skript. Es gibt Realität. Franziska spricht mit ihrem Gegenüber Tamer Jandali über vermeintlich erstrebenswerte Lebensziele, die aus ihrer „kranken Perspektive“ in einem diskussionswürdigen Licht erscheinen. So steht es in der Podcast-Beschreibung. Die ARD-Audiothek hält alle sieben Folgen zu Franziskas letzter Lebensetappe bereit. Darin hinterfragt sie mal humorvoll, mal den Tränen nah, immer in ihrer anerkennenswert klaren Sprache die Themen: dazu gehören Partnerschaft, Muttersein, Karriere und Körperkult. Auch ohne den Tod permanent im Nacken zu spüren, sind Hörende angehalten, den eigenen Blick zu weiten und – hier ist die Intension tiefenwirksam – das persönliche „Mindset radikal zu redigieren“. Franziskas Credo: „Who cares about a Bucket-List? Let’s do a F**k-it-List!”.
Franziska Knost starb am 10. Februar 2022 mit 41 Jahren nach langer schwerer Krankheit. Durch ihren Pod-cast bleibt sie jedoch sehr lebendig in mir und im Bewusstsein ihrer Hörerschaft. Kein Inspiration-Porn, sondern die zu tiefst selbstbestimmte Entscheidung eines totkranken Menschen, ihre Standpunkte raus in die Welt zu schicken. Ich bin Franziska unendlich dankbar für ihr Engagement zur Inklusion kranker Frauen und ihr empowerndes, feministisches Wirken.
Hier gehts zu allen sieben Episoden und zur näheren Beschreibung: www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr/sick-of-it
Über die Autorin: Jennifer Sonntag ist Diplom-Sozialpädagogin, Fachjournalistin und Buchautorin. Für die ARD war sie von 2008 bis 2022 als blinde Moderatorin und Kolumnistin in eigenen TV-Formaten tätig. Heute arbeitet sie frei für verschiedene Online-, Audio- und Printmedien. Als Inklusionsaktivistin engagiert sie sich für bessere Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen und richtet dabei ihr Augenmerk insbesondere auf die Benachteiligungen behinderter Frauen.
Autorinnenfoto: privat
Alle Beiträge von Jennifer Sonntag gibt es hier.
