„WEIHNACHTEN UND TOD” 14: Tod und Weihnachten – eine kurze literarische Betrachtung

von Reto Bühler

In Charles Dickens berühmtem „A Christmas Carol” aus dem Jahre 1843 zeigt der Geist – der „Ghost of Christmas Yet to Come” – dem hartherzigen Ebenezer Scrooge sein eigenes Grab. Oder Hans Christian Andersen lässt sein „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern” sogar an Weihnachten sterben. Das Licht (Weihnachten) und das Dunkel (Tod) kontrastieren in der Literatur und bieten dadurch die Möglichkeit der Reflexion und des moralischen Umdenkens. Im viktorianischen England gedieh die Tradition der Gespenstergeschichten, der „Weihnachtsgeister” besonders gut, da die „dunkelste Zeit des Jahres” mit Tod, Übergängen und Wiedergeburt assoziiert waren. Die klassische Weihnachtszeit war eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, als die Gesellschaft enormen Umbrüchen ausgesetzt war, die durch Industrialisierung und Urbanisierung ausgelöst wurden. Dunkle, lange Abende bei Kerzenschein und knisternden Kaminen waren gute Nährböden für Geschichten – speziell für unheimliche Geschichten. Im deutschen Sprachraum fielen diese Geschichten auf nahrhaften Boden, denn schon seit Jahrhunderten existierten Geschichten über Ahnengeister, Dämonen, vor allem in den „Rauhnächten” (25.12. – 6.1.), der Zeit der „offenen Tore” zur Geisterwelt. Auch wenn Dickens in Deutschland sehr populär war, las man ihn weniger unterhaltend als moralisch-symbolisch. Den Deutschen lag das unterhaltende Erzählen, das „britische Modell der unterhaltsamen Gruselgeschichte” weniger und wirkte auf sie allzu heiter oder gar etwas frivol. Die Deutschen Weihnachtsgeschichten sind dann auch eher besinnlich und sentimental und drehen sich mehr um die Familie, die Religion oder um die Armut und Erlösung. Erst im 20. Jahrhundert erschienen satirische Geschichten, wie Ludwig Thomas „Der Christbaumständer” (1909), in denen auch der Tod eine Rolle spielte. Literarisch sind der Tod und die Weihnachtszeit ganz natürlich miteinander verbunden, als Licht und Dunkel, Glück und Unglück, Schwarz und Weiß.

Man stelle sich den Tod als Anti-Weihnachtsmann vor, der zwar keine Geschenke bringt, aber zuverlässig das Überflüssige mitnimmt – zumindest im philosophischen Sinn. Der Tod macht uns bewusst, dass das Wichtigste nicht unterm Baum liegt, sondern mit uns am Tisch sitzt. Und deshalb drehen sich alle Geschichten über den Tod vor allem auch um das Leben. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Über den Autor: Reto Bühler hat sein ganzes Leben im Kulturbereich verbracht. In den 80er-Jahren begann er als Produktmanager bei einer Schweizer Plattenfirma und betreute Künstler aus dem Jazz- und Alternative-Genre. Schnell zog er nach England, wo er sein Cambridge-Zertifikat in Englisch erwarb und gleichzeitig für Mute Records arbeitete, dem Label von Bands wie Depeche Mode und Nick Cave. Anfang der 90er-Jahre, nach drei Jahren in London, zog er nach Deutschland und arbeitete erneut für verschiedene Plattenfirmen und Labels. Die turbulenten 90er-Jahre – mit der deutschen Wiedervereinigung und ähnlichen Ereignissen – prägten ihn, und er pendelte zwischen Großbritannien, Deutschland und den USA. Nachdem er sich in Hamburg niedergelassen hatte, gründete er eine Agentur für die Unterhaltungsbranche, bis er schließlich nach Zürich zurückkehrte. Dort moderierte er 2001 die Fernsehsendung „Popstars Schweiz“ und absolvierte seinen Master in Advanced Studies in Arts Management an der ZHAW.

Seit dem Jahr 2000 erweiterte Reto seinen kulturellen Horizont und begann, Kulturveranstaltungen zu fördern. Zunächst arbeitete er für die Kulturinstitution Kaufleuten, wo er ein Kulturprogramm mit Lesungen, Konzerten, Comedy und Podiumsdiskussionen umsetzte. Anschließend wurde er Direktor des größten öffentlich geförderten Jazzclubs Europas, Moods. Einige Jahre später bot sich ihm eine neue Chance: Er übernahm das Kulturprogramm des neu gegründeten Kunstzentrums KOSMOS mit sechs Kinosälen, einer Lounge, einer Buchhandlung, einem Restaurant und einer Bar. Im August 2020 – inmitten der Covid-19-Pandemie – wurde er Direktor des Friedhof Forums, des kleinen Museums der Stadt Zürich, das sich mit Leben und Tod auseinandersetzt. Dort kuratiert und organisiert Reto Ausstellungen, Buchpremieren, Konzerte und Vorträge – alle thematisch mit dem breiten Spektrum von Tod, Sterben und Erinnerung verbunden.

Reto studiert derzeit Angewandte Geschichte an der Universität Zürich und hofft, sein Studium mit einem Master-Abschluss abzuschließen. Er lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Zürich-Hottingen.

Foto: zVg