#20 „UNTOT UND TOD”

Liebe Leserinnen und Leser,
wenn ich richtig zurückblicke, ist meine älteste Angst tatsächlich die vor einem Untoten. Ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, als ich in der Zeitschrift mit dem Fernsehprogramm – die mit dem Imperativ im Titel – auf der Freitag-Seite ganz unten rechts (steht für den ganz späten Sendeplatz) ein Foto sah, das mich zutiefst erschreckte. Wie ich heute weiß, handelte es sich um Christopher Lee in seiner Paraderolle als Graf Dracula. Er blickte mich mit roten Augen an, im weit aufgerissenen Mund die berühmten langen Eckzähne. Damals kannte ich Christopher Lee natürlich nicht, weshalb ich meinen großen Bruder fragte, der mir bereitwillig allerlei Schauergeschichten über Graf Dracula und seinesgleichen erzählte. Das wiederum führte dazu, dass in den folgenden Tagen (Wochen?) vor der anstehenden Nachtruhe immer eine Person meines Vertrauens unter meinem Bett nachschauen musste, ob dort nicht eine finstere Kreatur auf mich wartete. Vielleicht war es dieses Ereignis, das in mir durchaus eine Faszination für „Untote“ weckte: Ich las Edgar Allan Poe und Mary Shelley, schaute „Nosferatu” (das Original von Murnau), immer mit einem wohligen Schauer. Zombies hingegen waren nie so mein Ding, die fand ich immer eklig und zu laut.
Heute sind Zombies und Vampire fester Bestandteil unserer Populärkultur. Wahrscheinlich wird sich heute ein sechsjähriges Kind nicht mehr so erschrecken, wie es mir in den 1970er-Jahren passiert ist. Um diese Einflüsse auf unseren kulturellen Alltag wird es selbstverständlich auch in dieser Ausgabe gehen. Aber die Lektüre der eingehenden Texte hat mir gezeigt, dass „untot“ auch ganz andere Facetten haben kann: So gibt es Kulturen, in denen Verstorbene noch lange nach ihrem Tod realer Bestandteil der Gemeinschaft bleiben, (pseudo-)wissenschaftliche Bestrebungen, den Tod auszutricksen, und Situationen, in denen unser eigenes Unterbewusstsein Verstorbene in unser Leben „zurückholt“. Was mich aber am meisten überrascht hat, weil ich es wirklich nicht wusste: Selbst die Natur sieht „untote Lebensformen“ vor.
Liebe Leserinnen und Leser, ich hoffe, Ihr empfindet beim Lesen dieser Ausgabe ähnlich wie ich: Erfreut Euch an längst Vergessenem, erfahrt bisher völlig Unbekanntes und – das soll bei dem Thema natürlich nicht zu kurz kommen – gruselt Euch vor dem Unvorstellbaren.
Herzlich,
Frank Pasic
(Herausgeber)
Dieser Beitrag erschien erstmalig in der drunter+drüber-Printausgabe #20 „Untot und Tod” (Mai 2025).
Über den Autor: Frank Pasic, Jahrgang 1971, ist von Hause aus Jurist, ist dann aber über einen Umweg ins Krematorium gekommen – wo es ihm wider Erwarten gefallen hat. Er ist (Mit-)Gründer der FUNUS Stiftung, die sich für einen offenen Umgang mit dem Tod, der Trauer sowie der Kultur des Bestattens und des Abschiednehmens einsetzt.
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Autorenfoto linke Seite: privat
