EIN NACHRUF AUF KARSTEN KRIESEL

Porträtfoto Karsten Kriesel, s/w
Foto Karsten Kriesel: Enrico Meyer

von Frank Pasic, Herausgeber

Es gibt Dinge im Leben, die möchte man nicht machen, die stehen auf keiner Bucket List. Einen Nachruf auf einen lieben Menschen zu schreiben, gehört zweifellos dazu. Gleichwohl befinde ich mich jetzt in dieser Situation.

Karsten Kriesel ist tot. Er starb am 1. März 2024, er wurde nur 41 Jahre alt. Die Umstände umschreibt man in Todesanzeigen gerne mit „plötzlich und unerwartet“. Er lässt eine Frau und drei Kinder zurück. Das sind die harten Fakten, doch dahinter verbirgt sich so viel mehr.

Kennengelernt habe ich Karsten im Sommer 2019, in der Vorbereitungsphase zur „Stadt der Sterblichen“ (#sds19), dem Endlichkeitsfestival, das die FUNUS Stiftung im September desselben Jahres in Leipzig veranstaltete. Sandra Strauß und Schwarwel hatten die Idee, ihn mit ins Boot zu holen, um die öffentliche Berichterstattung zu dem Festival zu fördern. Ich war etwas skeptisch. Dieser kleine Mann mit dem Irokesenschnitt, dem Vollbart und dem „Social Distortion“-Shirt sollte so viel Einfluss haben? Heute schäme ich mich fast, dass ich mich mal wieder von Äußerlichkeiten derart habe täuschen lassen. Karsten war ein Riese in der sächsischen, vor allem aber in der Leipziger Kulturlandschaft. Er schrieb für die Leipziger Volkszeitung und für die Freie Presse, rezensierte unzählige Tonträger, Konzerte, Filme und Theaterstücke und war selbst als Dramaturg für das Theater und Varieté tätig. Wenn ich mir heute #sds19-Fotos anschaue, sehe ich Karsten auf sehr vielen Veranstaltungen. Für seine Unterstützung bin ich ihm bis heute dankbar.

Als ich 2021 gezwungen war, die drunter+drüber auf neue Beine zu stellen, war sich die neue Redaktion – Sandra, Schwarwel, Dina und ich – sehr schnell einig, dass Karsten ein fester Bestandteil des neuen Autorenteams werden sollte. Das Thema der ersten Ausgabe mit ihm – „Musik und Tod“ (Nr. 14) – war natürlich eine Steilvorlage für ihn, seinen Artikel „Zwischen Öffnung und Sensationsgier“ kann man ohne Übertreibung als Standardwerk zum Thema bezeichnen. Aber auch seine Beiträge in den folgenden Ausgaben sind allesamt großartig. In der Ausgabe Nr. 16 „Humor und Tod“ wird Karsten zum ersten Mal sehr persönlich und schreibt von einer lebensbedrohlichen Situation, in der ihm nur eine Stammzellentransplantation das Leben rettete. Wenn ich diesen Artikel heute lese, bekomme ich Gänsehaut.

Ich habe in den letzten Tagen sehr viel über Karsten gelesen, seine Facebookseite ist – mit Zustimmung der Familie – zu einem Trauerportal geworden, auf dem seine zahlreichen Freunde und Wegbegleiter persönliche Anekdoten mit der Öffentlichkeit teilen. Wenn ich das alles lese, frage ich mich: Warum sind wir eigentlich nicht gute Freunde geworden? Wir hatten so viele Gemeinsamkeiten, die Liebe zur Musik und den Humor. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu Karsten – zu jeder Ausgabe haben wir uns zahlreiche Mails geschrieben und Späße gemacht –, aber diese Beziehung auszubauen, haben wir beide verpasst. Jetzt ist es zu spät.

Die drunter+drüber-Redaktion steht Karstens Familie zur Seite und hilft, wo geholfen werden kann.

Die Lücke, die Karsten hinterlässt, kann nicht geschlossen werden – nicht in diesem Magazin und schon gar nicht im wahren Leben.

Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #18 „Sex und Tod” (Mai 2024).

Autorenfoto Frank Pasic

Über den Autor: Frank Pasic, Jahrgang 1971, ist von Hause aus Jurist, ist dann aber über einen Umweg ins Krematorium gekommen – wo es ihm wider Erwarten gefallen hat. Er ist (Mit-)Gründer der FUNUS Stiftung, die sich für einen offenen Umgang mit dem Tod, der Trauer sowie der Kultur des Bestattens und des Abschiednehmens einsetzt.

Alle Beiträge von Frank Pasic gibt es hier.

Autorenfoto linke Seite: privat