„DEN TYPISCHEN RETTUNGSHUND AUFGRUND EINER RASSE GIBT ES NICHT.“

Ein Interview mit Gerlinde Neubauer vom BRH Bundesverband Rettungshunde e.V. von Sandra Strauß

Rettungshund mit Hundeführer seilen sich gemeinsam ab

Sandra: Was ist die Aufgabe vom BRH Bundesverband Rettungshunde e.V.?

Gerlinde: Der Bundesverband Rettungshunde e.V. ist die weltweit größte und eine der ältesten Rettungshunde-Organisation, die national und international zur Suche nach vermissten oder verschütteten Menschen im Einsatz ist. Wir bilden Rettungshunde sowie alle für die Suche nach vermissten Menschen erforderlichen Einsatzkräfte aus. Unter dem Dach des BRH Bundesverband Rettungshunde sind aktuell 94 Rettungshundestaffeln organisiert. Insgesamt hat der BRH ungefähr 2.300 aktive Mitglieder in Form von Rettungshundeführern und Einsatzkräften wie Zug- und Gruppenführern.

Sandra: Welche einzelnen Stationen/Phasen durchläuft ein Rettungshundeteam, damit es einsatzfähig wird?

Gerlinde: Die Ausbildung der Hunde nimmt ungefähr drei Jahre in Anspruch. Zeitgleich wird auch der Hundeführer in verschiedenen einsatzrelevanten Themen wie Erste Hilfe, Orientierung mit Karte und Kompass, Trümmerkunde und anderen Themen ausgebildet. Die erste Prüfung, die der Hund ablegt, ist die Begleithundeprüfung. Sobald der Hund in der Ausbildung im Bereich Fläche, Trümmer oder Mantrailing ausreichend gefestigt ist, legt er im ausgewählten Bereich die Vorprüfung ab. Besteht das Team die Vorprüfung, ist die Hauptprüfung der nächste Schritt. Mit der Einsatzüberprüfung, die einer realen Einsatzsituation nachgestellt ist, erhält er schlussendlich die Einsatzfähigkeit und das Team ist bereit, im Fall einer Alarmierung durch die Polizei in den Einsatz zu gehen.

Sandra: Wie unterscheidet sich der Trainings-Einsatz-Weg bei Flächensuche, Trümmersuche, Mantrailing und Lawinensuche?

Gerlinde: Der Großteil der Rettungshunde im BRH ist in der Flächen- und Trümmersuche ausgebildet. Es wird zumeist wöchentlich einen ganzen Tag trainiert, oft noch zusätzlich einen Abend.

Das Trainingsgebiet sind Wälder und andere weitläufige Flächen. In der Flächensuche läuft der Hund frei durch den Wald und sucht ein weitläufiges Gebiet von bis zu 100.000 Quadratmetern nach menschlicher Witterung ab. Dabei kann er sehr gut differenzieren, ob es sich um den Geruch des Hundeführers und anderer Begleitpersonen handelt oder um einen anderen menschlichen Geruch. Sobald er die vermisste Person gefunden hat, zeigt der Hund dies dem Hundeführer an. Dies kann in Form von Bellen bei der gefundenen Person sein, bis der Hundeführer vor Ort ist. Oder er wurde als Freiverweiser ausgebildet. In diesem Fall läuft er nach dem Fund zum Hundeführer zurück, zeigt durch ein erlerntes und eindeutiges Verhalten an und führt den Hundeführer an der Leine oder ohne Leine zurück zur vermissten Person.

In der Trümmersuche trainiert der Hund in verschiedenen Trümmerlagen und lernt, Menschen, die unter Trümmern begraben sind, zu finden. Erhält er menschliche Witterung, arbeitet er diese sorgfältig aus und bellt dort, wo für den Hund die Witterung am stärksten Austritt.

Mantrailer trainieren vor allem im urbanen Bereich. Dabei lernen sie, dem Geruch einer bestimmten Person zu verfolgen. Um zu wissen, um welche Person es sich handelt, beschnuppert er einen Gegenstand dieser Person, die nur von dieser Person getragen oder verwendet werden kann. Dies kann ein Kleidungsstück, Schuhe, eine Haarbürste usw. sein. 

Lawinenhunde bilden wir nicht aus.

Sandra: Was gehört alles zur Leistungsfähigkeit und gemeinsamen Bindung der einzelnen Mensch-Hunde-Teams?

Gerlinde: Hund und Mensch müssen körperlich fit und gesund sein, da sie im Einsatz oft mehrere Stunden im Wald unterwegs sind oder hoch konzentriert in den Trümmern arbeiten. Wichtig ist, dass der Hund gut im Gehorsam steht, gleichzeitig jedoch auch selbstständig arbeiten kann. In der Fläche muss sich der Hund mitten in der Nacht (da finden die meisten Einsätze statt) in für ihn fremden Gebieten vom Hundeführer ausreichend weit lösen (50 bis 100 Meter), trotzdem jedoch jederzeit rückrufbar sein. Eine Ausnahme von der Rückrufbarkeit ist menschlicher Geruch – den soll er trotz Rückrufs des Hundeführers ausarbeiten und sich sozusagen durchsetzen.

In den Trümmern wiederum ist es wichtig, dass der Hund einen sehr guten Gehorsam zeigt und sich hervorragend durch sprachliche Signale oder Körpersignale lenken und stoppen lässt, um Risiken für den Hund zu vermeiden.

All dies wird intensiv trainiert.

Sandra: Wie kann man sich einen Einsatz vorstellen? Und wie werden die einzelnen Teams darauf vorbereitet/trainiert?

Gerlinde: Das regelmäßige Training ist die Vorbereitung für den Einsatz. Wird eine Person vermisst, erhält die nächstgelegene Rettungshundestaffel eine Alarmierung durch die Polizei. Dies kann zu jeder Tages- und Nachtzeit sein, wobei die nächtlichen Einsätze überwiegen. Nach der Alarmierung durch die Polizei verständigt der Zugführer der Rettungshundestaffel die Einsatzkräfte, die sich umgehend auf den Weg zum Einsatzort machen.

Am Einsatzort angekommen, melden sich die Einsatzkräfte (Hundeführer und Suchtrupphelfer) beim Zugführer. Dieser teilt das von der Polizei zugewiesene Suchgebiet in Suchabschnitte ein, die von den Rettungshundeteams abgesucht werden. 

Info zum Suchtrupphelfer: Jedes Mensch-Hund-Team wird von mindestens einem Suchtrupphelfer begleitet. Dieser unterstützt den Hundeführer, beobachtet, welche Bereiche vom Hund abgesucht wurden, sorgt für die Kommunikation zwischen Einsatzteam und Zugführung sowie für die Navigation durch das Gelände.

Sandra: Wie gestaltete sich der Einsatz nach dem Erdbeben in der Türkei?

Gerlinde: Die Einsatzkräfte des BRH Bundesverband Rettungshunde und seiner Auslandsorganisation I.S.A.R Germany waren innerhalb von 24 Stunden nach dem Erdbeben am Einsatzort. Voraussetzung für einen internationalen Einsatz ist jedoch immer ein „internationales Hilfeersuchen“. Nur dann gehen wir unter WHO-Mandat in den Einsatz. Der Einsatz selbst war mental sehr herausfordernd. Allerdings werden alle Einsatzkräfte bereits während des Einsatzes mental betreut.

Sandra: Was muss ein Hund für Eigenschaften mitbringen, um als Einsatzhund auserwählt zu werden? Gibt es bestimmte Rassen, die sich eher für ein derartiges Training und für Einsätze eignen? Ich bspw. habe Huskys und da könnte ich mir vorstellen, dass sie sich eher weniger dafür eignen als bspw. Schäferhunde oder Border Collies. Liege ich da falsch?

Gerlinde: Den typischen Rettungshund aufgrund einer Rasse gibt es nicht. Die wichtigste Voraussetzung ist, dass der Hund körperlich gesund und lauffreudig ist und Freude daran hat, mit dem Hundeführer zusammenzuarbeiten und sich über Futter oder Spiel zusätzlich motivieren lässt. 

Es gibt Huskys, die sind absolut ungeeignet, aber auch welche, die sich dafür eignen. Ich führe beispielsweise eine Airedale Hündin. Eine Rasse, die sich grundsätzlich sehr gut eignet. Aber auch Labradore, Malinois oder Border Collies eignen sich sehr gut. Wir haben sogar erfolgreich geprüfte und auch im Einsatz erfolgreich geführte Rauhaardackel. Wobei die meisten unserer Rettungshunde Mischlinge sind. 

Sandra: Thema Mental Health. Wie gehen die einzelnen Menschen/Trainer:innen mit den Katastrophen und Tod um? Gibt es Supervision/Schulungen/Seminare? Gehört dieses Thema auch mit zur Ausbildung?

Gerlinde: Alle Einsatzkräfte werden bei Bedarf über die psychosoziale Notfallversorgung mental betreut. Dafür werden auch die Zugführer vorbereitet, indem sie die Einsatzkräfte nach schwierigen Einsätzen beobachten und das persönliche Gespräch anbieten. Es wird auch jeder Einsatz nachbesprochen. Wobei diese Belastung in Inlandseinsätzen eher gering ist. Auch dann, wenn die vermisste Person tot aufgefunden wird. Vor allem das sofortige Gespräch über das Thema ist hilfreich, sodass es hier sehr selten zu besonderen mentalen Belastungen kommt.

Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #17 „Tiere und Tod” (Nov 2023).

Portraitfoto Gerlinde Neubauer

Über die Interviewpartnerin: Gerlinde Neubauer ist seit 15 Jahren in der Rettungshundearbeit aktiv und führt aktuell eine Airedale-Hündin mit dem Namen Gundi, die für die Suche nach vermissten und verschütteten Personen ausgebildet ist. In ihrer Funktion als Vorstandsmitglied des BRH Bundesverband Rettungshunde e.V. ist sie für das Thema Medien & Kommunikation verantwortlich. Die ehrenamtliche Arbeit, ob als Rettungshundeführerin oder für den Verband als Referatsleitung, macht ihr großen Spaß, da sie dadurch Menschen in Notsituationen helfen kann. Außerhalb ihres ehrenamtlichen Engagements Gerlinde freiberuflich als Texterin/Autorin tätig.

Foto linke Seite: privat

Porträtfoto Sandra Strauß, sw

Über die Autorin: Sandra Strauß, *1978, arbeitet und lebt in Leipzig. Geschäftsführerin und Produzentin, Studio-, Verlags- und Vertriebsleiterin von Glücklicher Montag sowie verantwortlich für Redaktion, Presse, Promotion, Marketing und Management. 

Alle Beiträge/geführten Interviews von Sandra Strauß gibt es hier.

Foto linke Seite: Jan-Markus Holz, lebensart