FRIEDHOF IST, WENN MAN TROTZDEM LACHT
von Lara Schink
Friedhofsverwalterin. „Warum ergreift man denn als junge Frau so einen deprimierenden Beruf?“ Ganz oder in Teilen wurde mir diese Frage seit Beginn meiner Tätigkeit erstaunlich häufig und regelmäßig gestellt.
Warum explizit meine Eigenschaft als vergleichsweise junge Frau nicht zum Berufsbild einer Friedhofsverwalterin passen soll, ist mir bis heute nicht ganz klar. Offenbar hält sich in der Vorstellung der Menschen hartnäckig das Bild eines düsteren, betagten Mannes, der im Mondschein in Frack und Zylinder mit einer Schaufel die Toten vergräbt – im Hintergrund Wolfsgeheule und Fledermäuse. Diese düster-romantische Fantasie sei natürlich jedem gegönnt und der kurze Überraschungsmoment jünger als erwartet zu sein, wird mich sicher auch weiterhin erfreuen, solange er noch eintritt.
Nicht ganz nachvollziehbar finde ich jedoch die Erwartung, es handele sich beim Friedhof um einen besonders deprimierenden Arbeitsplatz. Zwar hatte ich zu Beginn meiner Tätigkeit weniger die Sorge, dass mich der Umgang mit Trauernden belasten würde als vielmehr, dass ich Trauernde mit meinem Umgang belasten könnte – jedoch bestätigte sich beides zu meiner Erleichterung nicht. Meine große Befürchtung war, ich würde tagtäglich und ausschließlich einsam weinenden Witwe(r)n und anderen Trauernden gegenübersitzen, die von mir Anteilnahme, emotionalen Halt und Wohlfühlweisheiten erwarten. Und dann sitzen diese hypothetischen Menschen mit ihren mutmaßlichen Erwartungen in der Verwaltung mir gegenüber: eher distanziert, oft etwas sehr direkt, eher zu wenig einfühlsam und zu allem Überfluss auch noch total schlecht im Verstellen. Herrje, dabei geht es denen doch auch so schon elend genug!
Seit nunmehr acht Jahren sitze ich jetzt wirklich regelmäßig Trauernden gegenüber: Ich begrüße sie mit einem gefühlt etwas zu fröhlichen Gesichtsausdruck, weil mir Beratungsgespräche aufrichtig viel Spaß machen. Ich erzähle den Angehörigen, dass die Ruhezeiten etwas mit der „Verwesung“ des „Leichnams“ zu tun haben; Euphemismen und schonende Scheinwahrheiten sind nicht so mein Ding. Öfter als ich es für möglich gehalten hätte, scherze und lache ich mit den Hinterbliebenen, weil diese, öfter als ich es für möglich gehalten hätte, ziemlich gefasst, manchmal sogar echt gut gelaunt sind. Ich tue das aus Freude an den Unterhaltungen, aber auch, weil ich denke, dass ein wenig bittersüßer Spaß und ein damit hervorgezaubertes Lächeln selbst bei akutester Tränennähe ein wenig schmerzlindernd sein kann. Sich selbst, das Leben, den Tod, das alles nicht ganz so ernst nehmen, das hilft nicht nur dem einen oder anderen Hinterbliebenen, sondern auch mir selbst. Nur so kann ich auch nach der dritten und vierten Bestattungsanmeldung am selben Tag noch unverzagt eine weitere Gruppe Angehöriger empfangen und diese ebenso leichten Herzens beraten wie die vorherigen – auch an den weiteren drei Öffnungstagen jeder Woche.
Auch wenn die Gespräche meistens ruhig und mitunter echt locker verlaufen, geht natürlich auch an mir nicht alles spurlos vorbei: vom Witwer, der sich bis vor Kurzem noch auf den gemeinsamen Ruhestand und das Reisen mit seiner nun überraschend verstorbenen Frau gefreut hat und der bei der Grabauswahl in Tränen ausbricht, bis hin zu Eltern, deren Tochter Suizid begangen hat und die kaum noch wissen, wie sie selber heißen – manchmal ist die Situation der Angehörigen so traurig, dass mir die Worte fehlen.
Auch der eine oder andere familieninterne Grabenkrieg zur Durchsetzung der eigenen Bestattungsvorstellungen wird in Teilen auf dem Schreibtisch der Friedhofsverwaltung ausgefochten – schnell kochen hier die Emotionen ebenso hoch wie in solchen Fällen, in denen wir als Dienstleister nicht zur Zufriedenheit gearbeitet haben.
Nicht immer gelingt es mir, in solchen Situationen, Distanz und Lächeln aufrechtzuerhalten. Die eine oder andere Träne wurde durchaus auch vor Angehörigen vergossen – sei es aus Anteilnahme an deren Leid, aus Betroffenheit über durch einen eigenen Fehler verursachten Kummer oder aus Hilflosigkeit gegenüber zornig vorgetragener Kritik zu etwas, das von mir nicht so ohne Weiteres geändert werden konnte. Humor wäre in solchen Situationen freilich fehl am Platz und auch andere Aufgabenfelder – wie die Begleitung von Baumaßnahmen – erfordern zur Lösung von Problemen meistens mehr als ein Lächeln und einen lustigen Spruch. Dennoch hilft Humor, mit düsteren Episoden umzugehen – das gilt für Unalltägliches wie den Verlust eines Menschen ebenso wie für die alltäglichen Herausforderungen bei der Arbeit in der Friedhofsverwaltung.
Ist die Arbeit auf dem Friedhof also doch deprimierend?
Ich sehe das nicht so und ich kenne auch keine Kollegin und keinen Kollegen, die oder der das so sieht. Gerade Trauernden ein kleines Lächeln abzugewinnen auf einem für sie oftmals schweren Weg, ist ein ausgesprochen schönes Gefühl und die Dankbarkeit für jeden Unterstützungs- und Aufmunterungsversuch ist spürbar und erfüllend. Wie könnte ich also keine gute Laune empfinden, wenn ich wieder und wieder neuen Angehörigengruppen in der Beratung gegenübersitze?
Bisher bin ich tatsächlich noch nie angeeckt mit meiner Art: Etwaige Distanziertheit wurde eher als professionell empfunden, meine unverblümte Art, Dinge zu erklären, schien bisher mehr Erleichterung als Empörung zu stiften, und die Scherze wurden offenbar stets als die Aufheiterungsversuche verstanden, als die sie gemeint waren. Eigentlich erstaunlich, ist der Grat zwischen verletzten Gefühlen und erfolgreicher Ermunterung doch selten im Leben so schmal wie beim Versuch, Humor mit dem Thema Tod zu kombinieren. Den schmalen Grat entlangzuwandeln, ist auch deshalb nicht immer ganz leicht, da sein Verlauf von Person zu Person und von Situation zu Situation stark variiert: Erkennbar wird das in drastischer Geballtheit in Form der zahlreichen Bücher, in denen Sammlungen humorvoller Traueranzeigen oder Grabmalinschriften zu finden sind und die sich durchaus einer gewissen Beliebtheit erfreuen, unter anderem als makabere „Klolektüre“.
Ist das geschmacklos?
Mit Distanz zu den dahinterstehenden realen Sterbefällen lässt sich zweifelsohne recht gut darüber schmunzeln und oft schwingt in der Art des „Galgenhumors“ ein kleiner emotionaler Triumph der Hinterbliebenen oder sogar des Verstorbenen selbst über den Tod mit. Zugegeben: Meinen Geschmack trifft diese Art von Humor eher nicht und bei dem Gedanken, ein mir nahestehender Mensch hätte für immer denselben witzigen Spruch auf dem Grabmal stehen, kräuseln sich mir die Zehennägel. Glücklicherweise sind Menschen aber ja verschieden und nicht alles muss allen gefallen. Letztlich gilt bei der Formulierung von Trauerannoncen und Grabmalinschriften wie im gesamten Trauerprozess: Erlaubt ist, was zum Verstorbenen passt und den Hinterbliebenen hilft, mit dem Verlust umzugehen. Wenn für den Verstorbenen ein derber Humor typisch war, dann hat dieser auch hier einen Platz und hilft womöglich den Hinterbliebenen die Erinnerung an Zeiten fröhlichen Beisammenseins wach zu halten. Nicht umsonst tauschen Angehörige beim Kaffeetrinken nach der Beisetzung in der Regel vor allem schöne und heitere Anekdoten aus dem gemeinsam Erlebten aus, um sich selbst und einander zu trösten. Und wenn dann über vergangene Streitereien mit dem Verstorbenen nachträglich gelacht werden kann und beim Erzählen einer lustigen Anekdote plötzlich Tränen entweichen, wird erlebbar, wie unwidersprüchlich eng verbunden Trauer und Humor einander sein können.
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #16 „Humor und Tod” (Mai 2023).
Über die Autorin: Lara Schink (*1990) hat Gartenbau in Dresden studiert, ihren Traumarbeitsplatz unmittelbar nach dem Studium gefunden und diesen seit immerhin fast acht Jahren nicht wieder verlassen. Als Friedhofsverwalterin des Alten und Neuen Annenfriedhofs in Dresden hat sie sich bisher noch kaum einen Tag gelangweilt und immer noch viel Spaß daran. Den Spaß versucht sie, zu nutzen, um ihre Kollegen im Netzwerk Dresdner Friedhofsverwalter für gemeinsame Aktionen zu gewinnen oder ihre Studierenden beim Lehrauftrag „Friedhofsgartenbau“ an ihrer alten Fakultät an der HTW Dresden für einen Beruf im Friedhofswesen zu begeistern.
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Foto linke Seite: privat
