SELBSTVERSTÄNDLICH NACHHALTIG. Hust.

Illustration von Schwarwel: Eric Wrede als Maler mit Rolle und Eimer in weiß-grün-oranger Optik
Illustration: Schwarwel

von Eric Wrede

Heute morgen in der Kaufhalle, einige mögen Supermarkt sagen. Ich wollte Eier kaufen, weil ich so eine Keto-Diät probiere. Ja, mit über 40 bleibt der Körper nicht von alleine erhalten. 

Der Supermarkt ist einer von denen, die es in jeder größeren Gemeinde gibt. Auf dem Weg zu den Eiern sehe ich die großen Bioregale, die es mittlerweile selbst beim Billigdiscounter gibt. Gerne mit vermeintlich nachhaltigen Eigenmarken, auf denen die drei Buchstaben B I O prangen. Die eigenen Siegel sind wunderbar, da kann der Supermarkt bei den Regeln mitsprechen. Vorne das Bioregal, zwei Gänge weiter steht immer noch Milch von Bauern, die kaum wissen, wie sie über den Monat kommen, und noch zwei weiter gibt es Fleisch aus einer Haltungsform, die keiner von uns seinem ärgsten Feind wünscht. 

Natürlich möchte ich Eier von möglichst glücklichen Hühnern. Die Verpackung verspricht Gutes. Aber wenn ich den Code (der auf jedem Ei ist) gegenchecke, wird mir wieder schlecht ob der Bedingungen. Aber das Schönste ist, den Einkauf im Supermarkt mache ich mehrfach in der Woche, und jeder, der ein bisschen wach ist, durchschaut irgendwann das anbiedernde Greenwashing und findet für sich selbst Lösungen, wie er passend zu seiner Geldbörse und seinem Gewissen leben kann.

Aber was mecker ich: Ist es nicht toll, dass auch große Ketten Produkte zu mehrheitsfähigen Preisen anbieten, die vorher nur extrem hochpreisig im Bioladen zu bekommen waren? Wie so oft gibt es kein Schwarz-Weiß.

Aber ihr lest hier ja nicht die Zeitschrift „Die glückliche Henne“, sondern ein Magazin für Endlichkeitskultur.

Als Bestatter, nee wartet: als Mensch möchte ich so nachhaltig und verantwortungsbewusst wie möglich leben und arbeiten. Und die Angebote, denn natürlich geht der Trend Nachhaltigkeit auch nicht an den sonst so konservativen Bestattern vorbei, sind schier endlos. Vor allen Dingen, wenn ich vor meinen Kunden möglichst „grün“ wirken möchte.

Ich kann Särge basierend auf Pilzen kaufen, die den Körper besonders schnell zersetzen. Es gibt Urnen aus Papier und gepresster Kohle, die quasi keine Giftstoffe mehr in den Boden bringen. Alternativ zu den Pilzen kann ich auch auf Palmen oder Weide setzen. Beides macht sich so schön auf Instagram.

Obendrein kann ich mir mittlerweile ein Siegel kaufen, welches mich als Bestatter damit werbend anspricht, dass ich mich mit dem Siegel „auf einen Schlag als grünes Unternehmen positioniere“. Die Auflagen für dieses Siegel sind geradezu absurd gering, ich muss halt irgendwie in jedem Bereich eine halbwegs nachhaltige Alternative anbieten. Ob ich jetzt 99 % meiner restlichen Arbeit weiterhin mit Särgen durchführe, die aus Holz bestehen, welches irgendwo sehr weit im Osten Europas (da kommt das Gros der Särge her) geschlagen wurde und danach mit dem LKW einmal quer durch Europa gebracht wurde, ist irrelevant. Ihr seht die Parallele zum Supermarkt, der jetzt grün tut, weil er ein Regal mit nachhaltigen Produkten bestückt hat?

Versteht mich nicht falsch, ich begrüße es ausdrücklich, dass es mittlerweile auch in eher konservativeren Kreisen angekommen ist, dass man nachhaltig arbeiten und leben sollte. Aber wenn es zum reinen Verkaufsargument in einer Branche wird, in der es immer noch zulässig ist, Verstorbene durch halb Europa zu fahren, weil die Kremation ein bisschen billiger wird, nennt man das landläufig „Greenwashing“ und das gilt es wann immer möglich zu entlarven. 

Ich sage auch nicht, dass es einfach ist, sauber zu arbeiten. Wir verzweifeln beruflich in grober Regelmäßigkeit daran. Welche Siegel sind glaubwürdig, welche wollen nur mein Gewissen beruhigen? Ist es besser, doch einen Elektroleichenwagen zu holen und fahren wir unsere Oldtimer bis zum Auseinanderfallen? Darf ich noch Luftballons auf Trauerfeiern steigen lassen oder nicht? Wie gewichten wir in der Arbeit Ethik, persönliche Bedürfnisse der Verstorbenen sowie der Trauernden und den ja mehr als angebrachten Blick auf Nachhaltigkeit? Denn am Ende kümmern wir uns um Trauernde und einen Körper, den es zu beerdigen gilt. Da kann reine Nachhaltigkeit keine Antwort sein.

Und da ich von Natur aus (meine Mutter sagt es leider immer noch) ein kleiner Klugscheißer bin, haben wir als Institut vor Jahren schon versucht, Antworten zu geben, die auch den einen oder anderen, der jemanden zu bestatten hat oder selbst Bestatter ist, vielleicht einen guten Gedanken bescheren können. Wie gesagt, auch wir arbeiten permanent an der Verbesserung und wollen in keinem Fall sagen, dass unser Weg der einzig gangbare ist.

Schritt 1. Nachhaltige Produkte sind der Standard und nicht die Ausnahme. Wir arbeiten aktuell mit einem Sarg, der in Österreich aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt und in Deutschland in einer Integrationswerkstatt zusammengebaut wird. Familien bekommen diesen Sarg automatisch. Wenn sie etwas anderes wollen, müssen sie sich aktiv dafür entscheiden. Und was kann ich sagen: 98 % der knapp 400 Familien, die wir pro Jahr begleiten, bleiben bei diesem Sarg. Vielleicht gestalten sie ihn noch ein bisschen, aber sie schätzen die Idee des Sarges. Gleiches gilt für die so häufig anzutreffende Feuerbestattung. Wir haben eine Basisurne aus Kohle ohne die sonst vorgeschriebene Aschekapsel. Diese Kapsel steckt in fast allen Schmuckurnen und hat zumeist einen Weißbleichdeckel (ihr erinnert Euch = Coladosen). Selbst bei vielen Waldbestattungen wird diese Coladosen-Aschekapsel immer noch benutzt. Echt grün ist anders und eine Antwort mit einer komplett abbaubaren Aschekapsel kostet nur Centbeträge mehr. Oh. Nachhaltigkeit kostet.

Kreative und liebevolle Abschiede leben eben nicht vom Einkaufen schöner Waren, sondern vom Mut zur Gestaltung und von persönlichen Ideen.

Und das größte aller Probleme hat noch keine der in Deutschland zugelassenen Bestattungsformen wirklich lösen können. Den Giftträger Körper. Bei der Feuerbestattung bleiben die Filterrückstände aus der Verbrennung in Form von Sondermüll zurück. Dieser muss ordnungsgemäß entsorgt werden. Aber bei der Erdbestattung und bei der Kompostierung kommen diese Stoffe direkt in den Boden, denn keine Form der Kompostierung, ob lang als Erdbestattung oder kurz als technisch beschleunigte Erdwerdung, kann sicherstellen, was mit den Giftstoffen passiert. Und unter uns, ich freue mich über Alternativen, denn selbst möchte ich auch nicht kremiert werden. Nur wirklich grün ist dato keine der Varianten.

Deshalb wäre meine Antwort: Dann macht die bestehenden Varianten doch bitte so sauber wie möglich.

Warum sind Anfahrten über hunderte Kilometer zu Krematorien legal? Wieso darf aus der Energie, die ein Krematorium produziert, nicht Wärme und Strom gewonnen werden (ist aktuell verboten). Wieso werden Friedhöfe als Grünflächen vielerorts reduziert und nicht gesetzlich erhalten? Wieso ist es nicht verboten, Holz aus unklaren Rodungsmethoden zu nutzen?

Ihr seht, die Fragen sind vielfältig. Bestatter und Hersteller, aber eben auch Verbraucher sind gefragt, damit sich langfristig aus dem jetzt zumeist anzutreffenden Greenwashing ein Greenworking entwickelt. Wir versuchen, unseren Teil beizutragen. Und für euch: Bitte weiterhin Augen auf beim Eierkauf und glaubt nicht alles, was Ikea und Aldi euch erzählen.

Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #15 „Umwelt und Tod” (Nov 2022).

Porträtfoto Eric Wrede, s/w, von Fabian Schellhorn

Über den Autor: Eric Wrede ist Bestatter und Trauerbegleiter aus Berlin und Leipzig. Gründer von lebensnah-Bestattungen und kindertrauer-berlin.de

Alle Beiträge von Eric Wrede gibt es hier.

Foto: Fabian Schellhorn