„DER CLUB DER KALTEN HÄNDE” Interview mit Dr. Christine Pernlochner-Kügler

von Sandra Strauß

Sandra: Du bist Thanatologin, Bestatterin, Psychologin, Autorin und leitest den operativen Bereich von I. Neumair Bestattung und mehr. Sicherlich ließe sich diese Liste fortsetzen. Wie bekommst du das alles gewuppt und in deinen Alltag integriert?

Christine: Und ich halte Vorträge und leite Workshops. Und eine Faschingszeitung für den Ort, in dem ich wohne, mach ich auch noch 😉 Die Frage ist also berechtigt, aber ich habe ein tolles Team, einen inzwischen erwachsenen Sohn, der im Team mitarbeitet und einen wunderbaren Mann, der nichts mit meiner Firma zu tun hat, mich aber einfach machen lässt und mir privat viel abnimmt. Und ich mache das, was ich mache, gerne. Manchmal wirds aber auch ein bisschen viel und dann brauche ich auch Ruhe. Da verkrieche ich mich dann übers freie Wochenende, mache Waldspaziergänge und höre Podcasts.

Sandra: Warum ist es dir wichtig, diese vielen verschiedenen Bereiche und Aspekte, deine Erlebnisse und Erfahrungen dabei miteinander zu verbinden und in deine Arbeitswelt einfließen zu lassen?

Christine: Naja, letztlich kreisen all diese Bereiche und Aspekte um den Themenbereich „Sterben, Tod, Trauer und Trauma”, mit ein paar Nebengeräuschen, weil ich meine Dissertation über den Umgang mit Scham und Ekel geschrieben habe und da gibt es auch immer wieder mal Anfragen. Aber auch das Ekel-Thema ist ja im Arbeitsalltag präsent, da wir Bestatter/innen an und mit Körpern arbeiten, die nicht immer im besten Zustand sind. Die Dinge verbinden sich da ganz von selbst und daraus entstehen neben der „Bestatterei” auch immer wieder coole Projekte wie eben das neue Kinderbuch.

Sandra: Stehst du in deinem Berufsalltag als Frau vor besonderen Herausforderungen bzw. anderen Herausforderungen als ein Mann oder ist das für dich und im Jahr 2025 kein Thema (mehr)?

Christine: Ich habe mir meine Position in dieser Bestatter-Welt schon hart erarbeitet, allerdings bin ich Anfang der 2000er Jahre in diesen Bereich hineingerutscht und es war damals offensichtlich die Zeit für einen neuen Umgang mit diesem tabubehafteten Thema, sodass ich mir schon auch rasch einen Namen machen konnte, weil ich viele Dinge einfach anders angegangen bin. Gerade die Medien haben sich sehr für mich als damals junge Frau interessiert. Herausforderung war und ist für mich vor allem meine begrenzte körperliche Kraft als kleine, eher zierliche Frau mit mittlerweile zwei kaputten Schultern. Aber mit bald 55 muss ich auch nicht mehr alles selbst machen und die Jungen dürfen jetzt halt noch mehr ran, wenns um die Verstorbenen geht. Mittlerweile bin ich auf dem Weg zur grauen Eminenz in unserem Institut, die zwar noch das Sagen hat, aber die Jugend nachrücken lässt. Das ist auch eine schöne Aufgabe und sehr entlastend.

Sandra: In deinem 2021 erschienenen Buch „Du stirbst nur einmal. Leben kannst du jeden Tag – Eine Bestatterin erzählt” stellst du die „Death Positive-Bewegung“ vor. Magst du umreißen, was sich dahinter verbirgt und warum es dir wichtig ist?

Christine: Die Death Positive-Bewegung ist ein interessantes Phänomen. Ich hab vorhin ja schon erwähnt, dass um die Jahrtausendwende die Zeit reif war, das Thema Tod anders anzugehen: lockerer, offener, transparenter, mit Humor, auch sachlicher, ohne spirituelles Brimborium und zwanghaftem Kerzenanzünden, wenn man über dieses Thema zu sprechen beginnt. Jedenfalls poppten in unserer westlichen Welt unabhängig voneinander Menschen mit Projekten auf, die für einen anderen Umgang mit dem Tod standen. Der Pionier im deutschsprachigen Raum war sicher der Kollege Fritz Roth mit seinem legendären Auftritt in der Sendung mit der Maus („Abschied von der Hülle”) und seinem alternativen Bestattungsinstitut, in dem damals schon sehr transparent und unverkrampft gearbeitet wurde. 2004 wurde das erste „Café mortel” vom Soziologen Bernard Crettaz im schweizerischen Neuchâtel abgehalten, mit dem Ziel bei Kaffee, Tee und Kuchen ohne Tabus über den Tod zu reden. 2004 habe ich, ohne von Crettaz zu wissen, mit einer Schulklasse meine erste „Was kommt danach?-Box” ausgepackt. Das ist eine Box mit lauter alltäglichen Dingen aus dem Bestattungsbereich – meine „Show- und Schüttelurne” (eine Aschenkapsel, mit 3 kg grobkörnigem Sand drinnen), ein Glasröhrchen mit Menschenasche, ein Sterbehemd, eine Einbettung, eine Sargschraube, Versorgungsmaterialien (Eycaps, Mundformer, chirurgische Rundnadel) etc. Der Brite John Underwood übernahm die Idee vom „Café mortel” und veranstaltete Death-Cafes in London und so wurde aus dem ersten „Café mortel” eine weltweite Sache. Death-Cafes sind mittlerweile in 66 Ländern! Ja und meine WKD-Box ist mittlerweile auch über 20 Jahre alt und sie wird immer noch fleißig ausgepackt, von Schulklassen ab dem 8. Lebensjahr, über Pflegepersonal, Einsatzkräfte, interessierte Laien und Pensionistengruppen. Dann kamen eine andere Art Kinderbücher wie Pernial Stalfelts „Und was kommt dann?” zu dieser Zeit auf den Markt. Parallel dazu machte sich 2006 die damals 22-jährige Caitlin Doughty als Quereinsteigerin im Bestattungsbereich einen Namen und brach auf ihre humorvoll-schrille Art mit Buchtiteln wie „Will my Cat eat my eyeballs” jedes noch verbliebene Tabu und gründete „The Order of a good death” und damit die Death Positive-Bewegung. Und es war wirklich Zeit dafür. Ja, und die FUNUS Siftung ist glücklicherweise auch auf den Zug aufgesprungen. Wir alle haben inzwischen mit all unseren Aktionen, Projekten, Artikeln, Zeitschriften bzw. Magazinen und unserem anderen Zugang, den wir Menschen eröffnen, bereits viel bewirkt. Das Bedürfnis nach sachlicher Information und Beantwortung aller aufkommenden Fragen ist riesig. Ein Bestattungsinstitut oder Krematorium von innen zu sehen und auch in alle Räume zu dürfen, in einem Sarg probezulieben … all das interessiert die Menschen brennend und wenn sie das alles mal hautnah erlebt haben, wird die Angst vor dem Tod kleiner.

Sandra: Dein bzw. euer neues Buch „Der Club der kalten Hände” ist ein Bandenbuch. Ohne zu sehr zu spoilern: Was genau meint und beinhaltet das?

Christine: Im Grunde sind es die Abschiedsgeschichten aus meinem Buch „Du stirbst nur einmal …”, aber für Kinder in eine spannende Geschichte verpackt mit den großartigen Illustrationen von Valerie Tiefenbacher.
Wenn wir uns in unsere Kindheit zurückerinnern, werden viele von uns selbst einmal Mitglied einer Bande gewesen sein. Ob die Bande dann wirklich etwas miteinander unternommen hat oder ob es bei der Gründung einer Bande an einem Nachmittag geblieben ist, sei jetzt mal dahingestellt. Jedenfalls finden Kinder Banden cool. Deshalb ist Lizzy, deren Eltern ein Bestattungsinstitut führen, Bandenchefin und die Bande erkundet undercover, was in dem Bestattungsinstitut vor sich geht. Und da passiert so einiges. Natürlich führt die Bande auch ein Bandenbuch, in dem alles aufgeschrieben wird, was sie herausfindet bei ihren Recherchen. Irgendwann kommt die Bande dann auch drauf, dass sie gar keinen Namen hat … Tja, und dreimal darf man raten, wie sie sich dann nennen 😉

Sandra: Warum wolltest du ein Kinderbuch schreiben über die Kraft der Freundschaft und gleichzeitig über die Beschäftigung mit dem Tod, mit Sterben, Trauer, Trost und Abschiednehmen?

Christine: Ich wollte irgendwann einmal in meiner Pension ein Kinderbuch schreiben. Jedenfalls jetzt noch nicht. Weil eigentlich habe ich dafür keine Zeit. Aber nachdem Valerie Tiefenbacher mein Buch gelesen hatte, hat sie mich kontaktiert und gefragt, ob ich nicht mit ihr ein Kinderbuch machen möchte. Dann hab ich mir ihre Arbeiten angeschaut, die ich sehr schön und pfiffig gefunden habe, und hab mir gedacht, das ziehen wir jetzt durch mit dieser Frau, die ist gut. Die Geschichte von Finn, das ist das letzte Kapitel im Buch, hatte ich schon vor 20 Jahren geschrieben, aber sie war mir inzwischen viel zu brav. Dann haben wir ein paar mal telefoniert und gebrainstormt und es hat sich sehr schnell die Idee mit Lizzy als Tochter der Bestatterin Lotte und ihrem Mann Kurt entwickelt und die Bande kam dazu. Dass es auch ein Buch „über die Kraft der Freundschaft” ist, stammt nicht von mir, sondern vom Verlag. Das war gar nicht meine erste Intention, aber es stimmt natürlich, es ist auch ein Buch über die „Kraft der Freundschaft”, denn Freunde sind in der Tat etwas extrem Wichtiges in Krisenzeiten im Leben.

Sandra: Du schreibst im Buch:
„Trauer ist ein Heilungsprozess und keine Krankheit, wir müssen Kinder nicht davor schützen. Gerade Kinder tun sich schwer, den Tod zu begreifen.
Kinder sind interessiert am Thema Tod. Die Ängste werden eher von den Eltern an die Kinder weitergegeben.
Aber nur wenn wir begreifen, was der Tod eines Menschen für uns bedeutet, kann der Heilungsprozess der Trauer beginnen.”
Ist euer Buch auch ein Buch für Erwachsene? Was können sie beim Lesen und Anschauen lernen?

Christine: In erster Linie, dass sie den Mut haben sollen, Kinder in Abschiedsprozesse und Trauerrituale mit einzubinden. Sie mitzunehmen. Kinder haben damit keine Probleme, aber sie bekommen welche, wenn wir sie außen vor lassen. Kinder haben auch das Bedürfnis, sich zu verabschieden, und sie brauchen die Chance, mit diesem Thema von klein auf anders umgehen zu können. Meiner Generation war das noch versagt. Die Kinder heute sollten es von Beginn an besser haben.
Erwachsene lernen durch dieses Buch das gleiche wie Kinder und ja, es funktioniert auch für Erwachsene, denn sie haben, wenn es um den Tod geht, im Wesentlichen die gleichen Fragen wie die Kinder. Bei den ersten Lesungen war auch deutlich spürbar, dass neben den Kindern auch die Erwachsenen sehr viele Fragen hatten und man musste sie direkt einbremsen, um den Kindern genug Raum zu lassen.

Sandra: Auf einigen Illustrationen sind Trauernde zu sehen, die den verstorbenen Menschen im Sarg berühren. Vielleicht wissen es nicht alle oder haben Angst davor: Darf man Verstorbene berühren?

Christine: Natürlich darf man das. Wenn wir uns im Leben begrüßen, geben wir uns die Hand, umarmen uns, und wenn wir uns verabschieden, tun wir das auch. Beim letzten Abschied von einer verstorbenen Person, die mir etwas bedeutet hat, sollte Körperkontakt nicht fehlen – es ist eine liebevolle letzte Geste und hilft auch beim Realisieren von dem, was hier geschehen ist.

Sandra: „Der Club der kalten Hände” ist nicht nur eine Freundschaftsgeschichte, sondern ebenso ein Erlebnisbuch mit Sachteil über das Abschiednehmen. Warum lag dir diese Kombination am Herzen?

Christine: Die Kombination lag mir zunächst gar nicht am Herzen. Ich wollte es bei der Freundschafts- und Abenteuergeschichte belassen. Aus Zeitgründen. Aber der Verlag hat auf einen Sachteil bestanden und so kam Valerie auf die Idee, den Sachteil als Bandenbuch zu gestalten. Eine geniale Idee, wie ich finde. Und so haben wir den Sachteil also doch gemacht. Zum Glück muss ich sagen, das Bandenbuch macht die Sache wirklich rund.

Sandra: Euer Buch ist inhaltlich divers und vielfältig gestaltet. Warum war euch das ein Anliegen?

Christine: Das war selbstverständlich für uns. Und ich finde, das sollte es heutzutage auch sein.

Sandra: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Carlsen Verlag und der Illustratorin Valerie Tiefenbacher?

Christine: Valerie hat mich gefunden und wir haben uns trotz Altersunterschieds gleich gut verstanden. Auch ihre beiden Kinder sind der Hammer. Denen ist das Buch auch gewidmet, weil Antonia und Moritz viele gute Ideen eingebracht haben und unsere wichtigsten Versuchspersonen und auch Kritiker waren. Mein Sohn ist inzwischen 27 Jahre und eignet sich nicht mehr dafür. Antonia und Moritz sind genau im richtigen Alter.
Valerie hatte schon das Kinderbuch „Muskel, Furz und Superkraft” illustriert. Sie fuhr zur Kinderbuch-Messe nach Bologna und hat dort verschiedenen Verlagen unser Projekt vorgestellt. Und siehe da, zwei echt coole Verlage haben sich gemeldet, die Entscheidung fiel dann auf Carlsen, weil er halt ein richtig großer ist und man diese Chance wirklich nutzen muss, wenn man sie bekommt.

Sandra: Was wünschst du dir für euer Buch besonders?

Christine: Dass es sich super verkauft und wir so berühmt wie Astrid Lindgren werden. Nein, Spaß beiseite! Wir freuen uns, wenn es gut ankommt und einen Beitrag in der Death Positive-Bewegung leistet, dass kleine und große Menschen eine spannende Abenteuer- und Freundschaftsgeschichte lesen können, die ihnen das Thema Bestattung und Tod auf lockere und humorvolle Art näher bringt. Das Buch ist traurig, aber man kann auch ganz viel lachen. Versprochen!

Portraitfoto Christine Pernlochner-Kügler von Gerhard Berger, Christine sitzt in der Natur, hält einen kleinen Holzsarg in der Hand und lächelt in die Kamera

Über die Interviewpartnerin: Christine Pernlochner-Kügler studierte Psychologie und Philosophie und ist Thanatologin mit eigenem Bestattungsinstitut. Sie engagiert sich im Gesundheitsbereich und im Management von Krisensituationen und ist Mitglied im österreichischen Netzwerk für Ritualforschung. Ihr berufliches Hauptaugenmerk liegt in der Begleitung von Angehörigen bei der Bestattung und in der individuellen Gestaltung von Trauerfeiern und Ritualen. Ihr ist es ein Anliegen, Sterben und Tod als letzten Lebensabschnitt salonfähig zu machen, das Todestabu zu brechen und unseren verkorksten Umgang mit der Endlichkeit zu hinterfragen. Mehr Infos: www.neumair.rip

Foto: Gerhard Berger

Portraitfoto Valerie Tiefenbacher von Greta Egle, Valerie ist draußen an einer Hauswand, lächelt mit verschränkten Armen in die Kamera

Über die Illustratorin: Valerie Tiefenbacher ist bildende Künstlerin und Illustratorin und ist im Kinderbuchbereich und als Editorial-Illustratorin tätig. Ihre Arbeiten wurden bereits in Österreich, Litauen und Belgien ausgestellt. Sie lebt in Wien.

Foto: Greta Egle

Porträtfoto Sandra Strauß, sw

Über die Autorin: Sandra Strauß, *1978, arbeitet und lebt in Leipzig. Geschäftsführerin und Produzentin, Studio-, Verlags- und Vertriebsleiterin von Glücklicher Montag sowie verantwortlich für Redaktion, Presse, Promotion, Marketing und Management. 

Alle Beiträge/geführten Interviews von Sandra Strauß gibt es hier.

Foto linke Seite: Jan-Markus Holz, lebensart