I’M STUCK WITH A VALUABLE FRIEND
Über meine besondere Beziehung zu David Bowie
von Frank Pasic
Um es vorweg zu nehmen: Ich war nie ein klassischer „Fan“ von David Bowie. Als ich Teenager war, hingen andere Musiker an meinen Zimmerwänden, vornehmlich Depeche Mode und U2.
Im Gegensatz zu den genannten Bands habe ich Bowie auch nie live gesehen (was ich heute durchaus als Verlust ansehe). Dennoch fühle ich mich keinem anderen Künstler derart verbunden. Ich führe das darauf zurück, dass ich David Bowie zu einer Zeit begegnete, als ich auch dem Tod sehr nahekam.
Im Herbst 1981 erkrankte ich schwer. Es fing mit Kopfschmerzen und Übelkeit an und wurde immer schlimmer – bis ich irgendwann meine Beine nicht mehr spürte. Zwei Wochen vergingen im Krankenhaus, ohne dass die Ursache für die Schmerzen gefunden werden konnte.
Zu meinem Glück hatte die Klinik erst wenige Wochen zuvor ein neuartiges Gerät erworben – einen Computertomographen. Mit diesem Gerät konnte ein Tumor in meinem Kopf entdeckt werden, der sich irgendwo zwischen meinem rechten Auge und dem Gehirn versteckt hatte. Es folgten zwei mehrstündige Operationen, später dann noch eine Strahlentherapie.
In dieser Zeit habe ich zum ersten Mal den Tod „erlebt“. Als ich nach der zweiten OP auf der Intensivstation lag, starb in demselben Raum ein Mensch. Die Schmerzmittel verhinderten zu erkennen, um wen es sich handelte. Dennoch denke ich noch heute manchmal daran zurück.
Einer meiner Zimmergenossen erlag einem seltenen Hautkrebsleiden, das ihn jeden Tag seines 14-jährigen Lebens gequält hatte, ihm aber nicht seine unbändige Lebensfreude nehmen konnte. Ein ebenfalls 14-Jähriger wollte mit seinem Freund nur eine Spritztour auf dem Mofa machen, als er von einem Auto erfasst wurde. Die multiplen Schädelverletzungen ließen ihm keine Chance auf Weiterleben.
All das erlebte ich mit der Musik von David Bowie.
Kurz vor meiner Einweisung ins Krankenhaus entdeckte ich in der Plattensammlung meines Bruders ein Cover, das mich faszinierte. Es zeigte einen Mann, der aussah wie die Superhelden aus den Comics, die ich so sehr liebte. Auf mein Drängen legte mein Bruder die Platte auf, und was ich da hörte, sollte so etwas wie der Song meines Lebens werden. Möglichweise liegt es daran, dass sich Bowie bei „Ashes to Ashes“ nach eigener Aussage von einem Kinderlied inspirieren ließ – jedenfalls rammte sich dieses Lied mit Gewalt in mein zehnjähriges Bewusstsein und sollte dort nie wieder verschwinden.
Als ich im Krankenhaus lag, nahm mein Bruder das Album „Scary Monsters and Super Creeps“ auf eine Maxell Chromdioxid Audiokassette auf, die ich in Endlosschleife auf einem Walkman der ersten Generation abspielte, während ich das mitunter traurige Geschehen um mich herum beobachtete.
Seit den Operationen bin ich auf dem rechten Auge erblindet. Dass mein großes Idol ein ähnliches Handikap hatte, war mir damals ein großer Trost.
Zwei Jahre später – ich war mittlerweile vollständig genesen und musste nur noch regelmäßig zu Nachuntersuchungen – kaufte ich mir von meinem Ersparten das nächste Bowie-Album „Let’s Dance“. Nie werde ich vergessen, wie ich in den damals angesagtesten und größten Plattenladen der Stadt ging, die Platte nahm und an der Kasse die 14,90 DM bezahlte – für einen Zwölfjährigen ein Vermögen. Ein älterer Freund, der vornehmlich Punk hörte, zog mich damals damit auf, dass Bowie sich doch prostituiere und nur die Musik mache, die sich aktuell am besten verkaufe. Damals hat mich das gekränkt. Erst viel später habe ich begriffen, dass es genau umgekehrt war: David Bowie war es, der Neues vorgab und andere beeinflusste. Die Band Joy Division, die ich ebenfalls fantastisch finde, nannte sich ursprünglich „Warsaw“ in Anlehnung an einen Bowie-Song vom Album „Low“. Auch viele andere Bands, die ich in der Folgezeit gut fand und teilweise noch bis heute höre – wie z. B. Pixies, Nirvana oder Placebo – bekannten und bekennen sich offen zu David Bowie.
In der Folgezeit verlor ich David Bowie ein wenig. Die Musik, die er nach „Let’s Dance“ machte, fand ich zwar in Ordnung, aber es gab mittlerweile spannendere Bands – siehe oben. Mit der Arroganz eines 20-Jährigen vermutete ich, dass mein Held von einst, der mich durch eine schwere Zeit begleitet hatte, einfach alt geworden war. Folgerichtig hörte ich in dieser Zeit eher alte Bowie-Songs aus den 1970er-Jahren; jedes Album aus dieser Zeit ist ein Juwel.
Wie falsch ich mit meiner Einschätzung zu Bowies Kreativität lag, stellte sich 1997 heraus: David zeigte mir, dass man sich auch mit 50 noch einmal komplett neu erfinden kann; das Album „Earthling“ ist ein wilder Crossover-Mix aus Industrial, Jungle und Drum´n´Bass. Es zählt tatsächlich zu meinen Lieblingsalben.
2004 hatte ich die letzte Chance, David Bowie live zu erleben. Zusammen mit anderen „Helden“ wie The Cure, Pixies und Placebo spielte er auf dem Hurricane-Festival in Scheessel. Berufliche Veränderungen und ein großer Umzug hielten mich damals davon ab – im Grunde reine Bequemlichkeit. Hätte ich die Chance einer Zeitreise, würde ich meinem damaligen Ich in den Hintern treten. Unmittelbar nach seinem Auftritt in Scheessel erlitt David Bowie einen Herzinfarkt, er sollte nie wieder ein Konzert geben.
Und dann ist er auf einmal tot – der, den ich einmal so sehr verehrt habe (und immer noch verehre).
Am 8. Januar 2016 erschien das Album „Blackstar“. Meine Frau und ich weilten zu der Zeit im Urlaub in Vietnam. Ich hatte mir vorgenommen, mir „Blackstar“ nach unserer Rückkehr in Ruhe anzuhören; ich freute mich drauf. Dann, am 10. Januar 2016, las ich auf Facebook den Post eines Freundes – „Oh Nein!“ stand dort, angehängt war das Video von „Space Oddity“. Ich verstand nicht, wollte nicht verstehen – ich wollte nicht akzeptieren, dass David Bowie tot ist. Es mag sich töricht anhören – und übertriebene Starverehrung ist auch überhaupt nicht mein Ding -, aber in dem Moment kam es mir so vor, als ob ich einen engen Vertrauten verloren habe.
In Situationen wie diesen bedaure ich am meisten, dass ich über kein künstlerisches Talent verfüge, um meine Gefühle auszudrücken. Statt meiner hat das aber der irische Musiker Glen Hansard vortrefflich hinbekommen. Er hielt sich am 10. Januar 2016 ebenfalls in New York auf, saß nur wenige Blocks von Bowies Sterbeort entfernt in einem Hotelzimmer, als ihn die Nachricht erreichte. Spontan schnappte er sich seine Gitarre und spielte „Ashes To Ashes“, aufgezeichnet mit seinem Smartphone. Noch heute schaue ich mir das Video gelegentlich bei YouTube an, noch heute berührt es mich.
„Blackstar“ habe ich mir übrigens bis heute nicht an einem Stück anhören können – es schmerzt einfach zu sehr.
Dieses Interview wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #14 „Musik und Tod” (Mai 2022).
Über den Autor: Frank Pasic, Jahrgang 1971, ist von Hause aus Jurist, ist dann aber über einen Umweg ins Krematorium gekommen – wo es ihm wider Erwarten gefallen hat. Er ist (Mit-)Gründer der FUNUS Stiftung, die sich für einen offenen Umgang mit dem Tod, der Trauer sowie der Kultur des Bestattens und des Abschiednehmens einsetzt.
Alle Beiträge von Frank Pasic gibt es hier.
Autorenfoto linke Seite: privat
