ALLTAGSMENSCHEN im Friedgarten Mitteldeutschland

Alltagsmensch älterer Herr mit Badekappe und Schwimmring im Teich

von Frank Pasic

Alles begann mit Constanze. Ich sah sie erstmals im Spätsommer 2020 in einem Garten in Schleswig-Holstein und war gleich verzaubert: diese Anmut, ihr freundliches Lächeln – und nicht zuletzt dieses Selbstbewusstsein, mit dem sie in ihrem gestreiften Badeanzug zum Sprung in die (freilich nicht vorhandenen) Fluten ansetzt. Wie ich durch Nachfragen erfuhr, handelt es sich bei Constanze um einen Alltagsmenschen – eine von den Künstlerinnen Christel und Laura Lechner erschaffene lebensgroße Betonskulptur. 

Auf der Internetseite www.christel-lechner.de recherchierte ich weiter. Dort heißt es u. a., dass die Alltagsmenschen „eine künstlerische Inszenierung des Alltäglichen“ sind – „berührende Momentaufnahmen, die zeigen, was gemeinhin übersehen wird: das gelebte Leben in seiner reinsten Form, ungeschönt und dennoch fern von Banalität.“

Als ich das las, hielt ich kurz inne und schaute durch mein Bürofenster in den Friedgarten Mitteldeutschland – einen Urnenfriedhof in Kabelsketal (Sachsen-Anhalt). Dort sah ich viele Menschen: zwei Damen mittleren Alters, die Blumen an einem Grab arrangierten, einen älteren Herrn, der mit einem etwa achtjährigen Jungen einen der Hauptwege langschlenderte – offensichtlich Opa und Enkel, die ein Grab besuchten. Und dann waren da die vier älteren Damen, die ich in der warmen Jahreszeit fast jeden Tag in derselben Formation sehe: Drei sitzen auf einer der zahlreichen Bänke im Friedgarten, die vierte ihnen gegenüber auf ihrem Rollator. Ich wiederholte für mich die Worte „das gelebte Leben in seiner reinsten Form, ungeschönt und dennoch fern von Banalität“. Da war für mich klar, dass es für die Alltagsmenschen keinen besseren Ort gibt als diesen Friedhof.

Ich nahm mit dem Lechnerhof in Witten Kontakt auf, schnell einigten wir uns auf fünf Skulpturen, die den Alltag im Friedgarten besonders gut widerspiegeln – einen Ort, an dem sich das Leben und der Tod jeden Tag begegnen. 

Am 10. Mai 2022 war es dann endlich soweit: Die Alltagsmenschen zogen in den Friedgarten Mitteldeutschland ein. Die Reaktionen der Besucher sind seitdem durchweg positiv. Einige kommen sogar, nur, um Fotos oder – noch beliebter – Selfies mit den Skulpturen zu machen.

Bei der Installation handelt es sich um ein Projekt der FUNUS Stiftung, das aufzeigt, dass der Friedhof für viele Menschen überhaupt keine abschreckende Wirkung hat, weil er für sie schlichtweg Alltag ist.

Alltagsmensch im Friedgarten, ältere Frau steht in der Mitte auf dem Kiesweg und schaut und die Kamera

Alltagsmenschen Friedgarten-Fotos: Kristin Rogge, „Constanze“-Foto: Dina Pasic

Autorenfoto Frank Pasic

Über den Autor: Frank Pasic, Jahrgang 1971, ist von Hause aus Jurist, ist dann aber über einen Umweg ins Krematorium gekommen – wo es ihm wider Erwarten gefallen hat. Er ist (Mit-)Gründer der FUNUS Stiftung, die sich für einen offenen Umgang mit dem Tod, der Trauer sowie der Kultur des Bestattens und des Abschiednehmens einsetzt.

Alle Beiträge von Frank Pasic gibt es hier.

Autorenfoto linke Seite: privat