„ALSO, WAS MACHEN WIR MIT PAUL?“
von Eric Wrede
Jedes Mal, wenn sich die lieben Menschen von der drunter+drüber melden, um das Thema für das nächste Heft und somit auch für die kommende Kolumne rumzuschicken, ducke ich mich immer ganz kurz, aus Angst, dass ihnen die guten Ideen ausgehen könnten und ich ihnen sagen müsste: „Sorry Leudde, aber dazu fällt mir einfach nichts ein.“
So auch dieses Mal. Die E-Mail von Frank Pasic, einer der Köpfe hinter diesem Heft, ploppte beim spätabendlichen Aufklappen meines Tablets auf. Vor mir ein Rotwein, drinnen mein schlafendes Kind und neben mir liegt Paul. Paul heißt eigentlich Paulo, kam mal aus Spanien und ist mittlerweile eher Opa Paul. Denn er ist 13 und ein mittelgroßer Podenco. Also in Menschenjahren hat er ein Alter erreicht, bei dem die Schwester im Altenheim eher zwei Mal in der Nacht schauen kommt, ob er nicht doch schon verstorben ist. Für die Älteren unter uns: Er sieht ziemlich genau so aus wie Rantanplan von Lucky Luke. Die Charaktereigenschaften sind ähnlich und dennoch lieben ihn alle.
Die ganze Familie schätzt an ihm, dass er eigentlich nie bellt, außer wenn er versucht, Berlin rattenfrei zu bekommen, und er zudem zu den Hunden gehört, denen andere Hunde total egal sind. Wer jemals am anderen Ende der Leine eines Hundes war, der sich zu jedem anderen Vierbeiner wie eine Dampfwalze hingezogen fühlt, versteht um den Vorteil.
Und nicht nur wir lieben Paul, sondern auch so ziemlich jede Familie, die das Berliner Büro unseres Bestattungshauses je betreten hat, schätzte es, dass Paul irgendwann sehr nonchalant seinen Kopf in den Schoss eines weinenden Menschen legt und klar macht, dass er gefälligst JETZT gekrault werden möchte. Mittlerweile haben wir in allen Läden einen Hund. Genau deswegen.
Und genau dieser Paul lag faul vom Tagwerk – zwei Mal kacken, fressen, 14 Stunden schlafen und ne Stunde spielen – neben mir, als Franks E-Mail aufploppte: „Tod und Tiere. Los Eric, schreib mal was.“ Danke, Frank!
Während ich noch über mögliche Themen nachdenke, wie Duncan MacDougall, der diesen Quatsch mit dem Gewicht der menschlichen Seele verzapft hat, in dem er die Gewichtsreduktion von sechs Menschen im Zuge ihres Versterbens gemessen hatte und auf einen Durschnittswert von 21 Gramm kam, um kurze Zeit später 15 Hunde zu vergiften, bei denen er keine Reduktion messen konnte, was er als Beweis ansah, dass Tiere keine Seele haben. Mir aber dann dachte, der kannte Paul einfach nicht. Oder meine große Kindheitsheldin Laika, dem ersten Lebenwesen im All. Wobei mir unsere sozialistisch sauber geschulte Lehrerin auswich, als ich als Kind wissen wollte, wie Laika denn wieder auf der Erde gelandet ist. Ist sie natürlich nie. Sie ist nach ein paar Stunden durch Hitze und Stress gestorben. Hätte sie das überlebt, war der Plan der russischen Wissenschaftler, ihr nach zehn Tagen im All vergiftetes Futter zu geben.
Und während beide Themen so durch meinen Kopf mäanderten, überkam mich die Angst, dass Paul ja jetzt auch irgendwann sterben wird. Wahrscheinlich vor mir. Oh man, was mache ich dann nur. Beim letzten Hund habe ich zwei Nächte im Auto vor der Tierklinik gepennt, bis klar war, dass er den Autounfall nur knapp überlebt. Aber da war ich noch kein Bestatter und so manche Fragen waren noch gar nicht in meinem Kopf. Also, was machen wir mit Paul? Der ist Teil der Familie. Meine Tochter und alle lieben ihn abgöttisch. Wie gehen wir damit um, wenn ein Paul stirbt? Als ich meine Tochter fragte, was wir machen wollen, gab es zwei Ideen. Ausstopfen wie den Fuchs, der bei uns im Wohnzimmer steht, oder ganz klar, der muss zu uns auf den Friedhof. Wir haben da eine große Familienstelle. Und jetzt wird es schwierig und irgendwie kommt hier dann wieder dieser Duncan mit ins Spiel. Es ist immer noch die totale Ausnahme in Deutschland, dass es Tieren erlaubt ist, mit auf unseren Friedhöfen beigesetzt zu werden. Als Teil der Familie, der sie für viele Tierfreunde einfach sind. Und wie so häufig, wenn es um Regelungen im Bestattungsgewerbe geht, kommt mir vor allem ein „Hä? Wieso das denn?“ über die Lippen. Wenn man es ganz formal juristisch betrachtet, könnte ich im Moment meines Todes mein Tier mit töten lassen und es als Grabbeigabe zu mir mit in den Sarg legen lassen. Aber ihr seht schon, zumindest ich würde das nicht machen.
Also, liebe Friedhöfe und Landesregierungen, anstatt weiter zum verstaubten Kulturerbe zu schielen, womit keinem Friedhof geholfen wird, macht es den wenigen Anfängern gleich und öffnet euch. Für Berdürfnisse und Lebensrealitäten vor euren Türen. Das wird schon und ein paar Jahre hat Paul auch noch.
Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #17 „Tiere und Tod” (Nov 2023).
Über den Autor: Eric Wrede ist Bestatter und Trauerbegleiter aus Berlin und Leipzig. Gründer von lebensnah-Bestattungen und kindertrauer-berlin.de
Alle Beiträge von Eric Wrede gibt es hier.
Foto: Fabian Schellhorn
