MESSE LEBEN UND TOD
Interview mit Messeleiterin Meike Wengler … von Sandra Strauß
Die LEBEN UND TOD ist seit 16 Jahren der Treffpunkt für Haupt- und Ehrenamtliche aller Professionen, die Menschen am Ende des Lebens begleiten. Das Fortbildungsprogramm ist praxisnah, aktuell und lädt auch mal zu leidenschaftlichen Diskussionen ein. In diesem Jahr hat sich die Frühjahrsmesse in Bremen das Thema „Vielfalt“ aufs Plakat geschrieben.
Sandra: Warum war es euch ein Anliegen, „Vielfalt” zu eurem Messe-Thema zu machen sowie queere Diversität, Multikulturalität, Inklusion und Teilhabe in den Fokus zu rücken?
Meike: Tatsächlich haben wir das Schwerpunktthema im Herbst letzten Jahres kurzfristig noch einmal geändert, weil wir den Bedarf gesehen haben. Und leider zeigt es sich ja aktuell, dass es mehr als notwendig ist, über genau diese Themen zu sprechen. Ich bin überzeugt, sehr viele Begleitende haben eigentlich schon die richtige Haltung. Doch ich selbst musste beim Kuratieren des Programmes feststellen, dass ich (unbewusste) und oft auch anerzogene Vorurteile habe, und ich bin sicher, vielen geht es ähnlich. Wenn es uns gelingt, statt mit dem erhobenen Zeigefinger zu sagen: „Du machst das falsch“, sondern eher zu zeigen: „Vielfalt ist Chance“ und dazu einzuladen, sich offen mit Themen wie Diskriminierung, Rassismus und Vorurteilen auseinanderzusetzen, dann haben wir richtig viel erreicht!
Sandra: In welcher Art und Weise versteht ihr euch als Mutmacher:innen?
Meike: Das geht in zwei Richtungen. Zum einen ganz nach dem Motto: „Vom drüber sprechen ist noch niemand gestorben“ möchten wir Menschen dazu einladen, sich schon in guten Zeiten mit den letzten Dingen zu befassen. Wir möchten Menschen Mut machen, aktiv über den Tod zu sprechen, vor allem mit den Liebsten. Ich habe es schon so oft erlebt, dass mich Besucher:innen vor Ort angesprochen und sich bedankt haben, dass wir ihnen diese Gelegenheit geboten haben, sich unverbindlich zu informieren. Und die meisten sind überrascht, wie lebhaft, bunt und vielfältig die Messe ist. Ich hoffe dann immer, dass sie diese Erfahrungen im Freundes- und Bekanntenkreis teilen und sich noch mehr Menschen auf den Weg machen.
In der anderen Richtung geht es uns darum, haupt- und ehrenamtlich Begleitenden dahingehend Mut zu machen, sich professionsübergreifend auszutauschen und auch neuen Ideen Raum zu geben. Bestes Beispiel der FUNUS Campus, den wir mit euch zusammen auf die Beine stellen. Es gibt so unfassbar viele gute Ideen und innovative Köpfe da draußen, die manchmal nur einen kleinen „Schubs“ brauchen, um tolle neue Projekte auf den Weg zu bringen. Ich finde immer wichtig dabei, nicht in der eigenen „Bubble“ zu bleiben, sondern in den Dialog zu treten mit Kolleg:innen, mit Betroffenen und Interessierten. Das können wir bieten und das wollen wir auch weiter fördern.
Sandra: Was macht das Flair der LEBEN UND TOD aus?
Meike: Es ist diese ganz besondere Mischung aus hoher Fachlichkeit, gepaart mit besonderer Herzlichkeit und Lebendigkeit. Es wird überall gelacht, gesungen und lebhaft gemurmelt. Ich glaube, das entsteht gerade auch durch die Mischung aus kommerziellen Anbieter:innen und den vielen Vereinen, Künstler:innen, Glaubensgemeinschaften und kleinsten Unternehmungen, die eine einzigartige Vielfalt schaffen. Viele, die zum Teil schon lange digital zusammenarbeiten, treffen sich auf der LEBEN UND TOD zum ersten Mal „live“. Das ist schon etwas sehr Besonderes. Und das familiäre Klima hilft vielen „Newbies“, sich auszuprobieren, und schon im nächsten Jahr ist dann der ein oder andere Stand um ein Vielfaches professioneller. Das mitzugestalten, ist für uns total schön.
Sandra: Warum braucht es eine LEBEN UND TOD?
Meike: Weil nur die LEBEN UND TOD die LEBEN UND TOD ist! 😉
Spaß beiseite: Als Messemacherin habe ich natürlich immer die Messelandschaft im Blick. Mir war aufgefallen, dass es zu allen (Lebens-)Themen Messen gab: Baby-Messen, Hochzeits-Messen, Messen für Menschen, die Häuser bauen möchten, oder Messen für Menschen, die Oldtimer sammeln. Aber zu dem einzigen Thema, das nun wirklich alle Menschen betrifft – nämlich der Endlichkeit –, gab es keine Veranstaltung. Zumindest keine, die nicht nur Fachleute anspricht, sondern auch Betroffene und Interessierte. Für mich lag es daher vor über 18 Jahren auf der Hand, dass es höchste Zeit für die LEBEN UND TOD war.
Wir sind Fortbildungsveranstaltung, Netzwerk, Plattform und Anlaufstelle in einem – so etwas gibt es in dieser Form sonst nicht. Und genau das braucht es!
Sandra: Auf eurer Webseite schreibt ihr: „Die LEBEN UND TOD kommt damit dem gesellschaftlichen Anliegen nach, über die Themen des Lebensendes aufzuklären, zu informieren und zugleich den Dialog zwischen Laien und Expert:innen zu fördern. Über diese Themen zu sprechen, ist wichtiger denn je, vor dem Hintergrund einer sich verändernden Gesellschaft, Krisen und Kriegen.“ Magst du das bitte noch weiter ausführen bzw. konkretisieren?
Meike: Ein Fakt ist: Sterben, Tod und Trauer sind keine Themen, mit denen man sich gerne befasst, und werden häufig ignoriert. Das Wissen um die Möglichkeiten der hospizlich-palliativen Versorgung z. B. ist sogar noch bei vielen Hausärzten eher rudimentär. Für uns ist das ein Hinweis darauf, dass wir Menschen dazu befähigen müssen, die richtigen Fragen zu stellen und auf eine gute Begleitung und Versorgung zu bestehen.
Ein weiteres Beispiel: Häufig bekomme ich mit, dass Eltern mit ihren Kindern nicht über den Tod sprechen, weil sie sie vermeintlich beschützen wollen. Der wahre Grund ist aber die eigene Angst vor dem Thema. Dabei spüren Kinder die Trauer der Eltern natürlich oder sind verunsichert, wenn ein:e Mitschüler:in nicht mehr zur Schule kommt, aber niemand drüber spricht. In unserem Grundschul- und Jugendlichenprojekt bekommen wir das oft gespiegelt. Gerade die Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder die Klimakrise führen zu großen existentiellen Ängsten junger Menschen. Da gilt es z. B. weiterhin, Aufklärungsarbeit zu leisten, bei den Eltern, aber auch bei den Pädagog:innen.
Sandra: Seit letztem Jahr ist ahorn die Veranstalterin. Was hat sich dadurch verändert? Und wie gestaltet sich eure neue Zusammenarbeit?
Meike: Ganz ehrlich: Der Wechsel zu ahorn war das Beste, was der LEBEN UND TOD – und damit auch meinem Kollegen Alexander Kim und mir – passieren konnte!
Man darf nicht vergessen: Wenn die ahorn nicht den Mut gehabt hätte, die LEBEN UND TOD zu kaufen und Alex und mich zu übernehmen, dann wäre die LEBEN UND TOD im Januar 2024 von jetzt auf gleich eingestellt worden.
Die Zusammenarbeit mit dem Team der ahorn Kultur um Charlotte Wiedemann hat unsere Arbeit total bereichert. Dadurch sind neue Perspektiven aus dem Bereich Endlichkeitskultur dazugekommen, die bis dato etwas zu kurz gekommen waren. Wir können neue Ideen entwickeln, Pläne schmieden und umsetzen – wie ja z. B. den FUNUS Campus. Wir sind als Team der ahorn in den letzten Monaten enger zusammengewachsen und können uns gegenseitig mit unseren Erfahrungen bereichern. Wir merken, dass wir alle eine gemeinsame Haltung haben. Und Spaß macht es obendrein noch!
Sandra: Du bist seit unglaublich vielen Jahren die Projektleiterin. Was ist dein persönliches Credo für die Inhalte und Durchführung? Und was hat sich über die Jahre verändert und entwickelt – auch unter dem Aspekt, wie unsere Gesellschaft und wir mit dem Tod und unserer Sterblichkeit umgehen?
Meike: Mir ist es total wichtig, in den Zielgruppen zu denken. Denn eine hospizliche Ehrenamtliche bewegt ganz andere Themen als ein:e Seelsorger:in oder eine palliative Pflegekraft. Meine eigenen Erfahrungen und Fragen spielen da sicherlich mit hinein, gerade wenn es um die Inhalte für Bürgerinnen und Bürger geht. Auf jeden Fall habe ich den Anspruch, nie den Respekt vor den existentiellen Themen zu verlieren, aber gleichzeitig auch mutig genug zu sein, um als Veranstaltung interessant zu bleiben. Denn ich beobachte – und das ist total gut so – dass sich viele junge Menschen auf den Weg machen, um in den Bereichen Trauerbegleitung oder Bestattungskultur etwas zu bewegen. Das wird den Umgang mit Sterben, Tod und Trauer in unserer Gesellschaft beeinflussen und wir tragen hoffentlich dazu bei.
Sandra: Was hat sich für dich persönlich durch den intensiven Umgang mit dem Ende des Lebens verändert?
Meike: Ich habe tatsächlich einen Großteil meiner Angst vor dem eigenen Tod verloren. In einem Interview habe ich mal gelesen, dass uns das Leben eigentlich viel mehr Angst bereiten sollte als der Tod. Ich finde, das stimmt. Wir wachen täglich auf, ohne zu wissen, was uns an diesem Tag erwartet: Verpasse ich den Bus, klemme ich mir schmerzhaft den Finger, habe ich ein unschönes Telefonat… das können wir alles nicht vorhersehen oder beeinflussen, obwohl vieles davon recht häufig passiert. Aber das macht uns keine Angst. Ist ja auch okay – ich meine damit: Der Tod eint uns alle und wann wir sterben, das können wir nicht vorhersehen. Aber wie wir begleitet werden wollen und wie unser Ende aussehen soll, das können wir mitgestalten.
Inzwischen habe ich eine Grabstelle bestellt, wir haben eine Vorsorgevollmacht und ich habe mir schon ein paar Menschen ausgesucht, die uns begleiten sollen. Das war richtig erleichternd: Die Dinge sind geklärt. Trotzdem möchte ich es nicht verharmlosen: Der Verlust eines geliebten Menschen ist und bleibt das Schlimmste, was uns passieren kann. Um es mit Mascha Kaléko zu sagen: „Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.“
Damit müssen wir leben.
Dieses Interview wurde erstveröffentlicht in der drunter+drüber-Printausgabe #20 „Untot und Tod” (Mai 2025).
Über die Interviewpartnerin: Meike Wengler Geboren und aufgewachsen auf der Nordseeinsel Borkum. Messemacherin seit über 20 Jahren und Gründerin der LEBEN UND TOD.
Foto linke Seite: Malte Heitmüller
Über die Autorin: Sandra Strauß, *1978, arbeitet und lebt in Leipzig. Geschäftsführerin und Produzentin, Studio-, Verlags- und Vertriebsleiterin von Glücklicher Montag sowie verantwortlich für Redaktion, Presse, Promotion, Marketing und Management.
Alle Beiträge/geführten Interviews von Sandra Strauß gibt es hier.
Foto linke Seite: Jan-Markus Holz, lebensart
