„IN MEINEN SONGS, BÜCHERN UND BILDERN GEHT ES STÄNDIG UM DEN TOD.” Interview mit Luci van Org

von Sandra Strauß

Foto: Axel Hildebrand

Sandra: Wie gehst du mit deiner eigenen Sterblichkeit um?

Luci: Meine eigene Sterblichkeit ist in meinem Leben schon ein sehr präsentes Thema. Zum Glück – zumindest momentan – aber kein angstbesetztes. Angst vor Sterben und Tod habe ich eher, wenn es um andere geht. Darum, dass geliebten Menschen etwas zustoßen könnte. Für mich selbst verspüre ich mittlerweile eher eine große Neugier, weil der Tod nun mal das größte Geheimnis unseres Lebens ist. Meine eigene Vorstellung vom Tod und vom Sterben ist dabei sehr von meiner Spiritualität geprägt – von allem, was ich mir als praktizierende Heidin und Okkultistin so zum Thema zusammendenke und -fühle – natürlich ohne jeden Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Sandra: Wie und auf welche Art setzt du dich mit deiner eigenen Endlichkeit und Endlichkeit an sich in deiner Musik, deinen Texten und Büchern, deinem kreativen Schaffen auseinander?

Luci: In meinen Songs, Büchern und Bildern geht es ständig um den Tod. Nicht nur wegen der eben schon erwähnten Faszination. Sondern auch, weil meine künstlerische Arbeit sich immer wieder um Ängste und um das Überwinden derselben dreht. Und die Angst vor dem Tod ist ja nun einmal einer der größten, vielleicht sogar die größte Angst von uns Menschen. Also besinge und beschreibe und male ich den Verfall und meine Endlichkeit, um die Angst vor ihr immer mehr zu verlieren.

Sandra: Was folgt deines Erachtens daraus, wenn man sich mit seiner eigenen Endlichkeit und der begrenzten Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen beschäftigt?

Luci: Der Angst weicht Neugierde und dem Bedürfnis, das Leben voll auszukosten – womit ich wieder beim Überwinden von Ängsten wäre.

Sandra: Du bist jetzt 54. Wie fühlt sich das an? Was hat sich bei dir mit dem Älterwerden verändert, auch als Frau?

Luci: Vielleicht klingt es wie ein Klischee, aber ich werde mit jedem Jahr selbstbewusster. Die ewige Gängelung des Patriarchats, als Frau immer „begehrenswert” zu sein, also schön, aber nicht zu schön – sexy, aber nicht zu sexy – laut, aber nicht zu laut – leise, aber nicht zu leise – auffällig, aber nicht zu auffällig, erfolgreich, aber nicht zu erfolgreich – wasauchimmer, aber nicht zu wasauchimmer, zieht bei mir seit der Menopause nicht mehr. Mittlerweile ist es mir scheißegal, ob irgendwer mich begehrenswert oder auch nur sympathisch findet. Es macht mir ungeheuren Spaß, mir ganz hemmungslos den Raum zu nehmen, der mir zusteht, und Männer, die ihn mir nehmen wollen, ganz offen in die Schranken zu weisen. Was viele Männer lustigerweise extrem verunsichert, weil sie es nicht gewohnt sind – aber das ist dann ja deren Problem und nicht meins.

Sandra: Welche emotionalen Auswirkungen haben Verluste für dich? Wie gehst du mit Verlusten um?

Luci: Ich bin zum Glück dazu in der Lage, Dinge, die ich nicht ändern kann, relativ schnell als solche zu akzeptieren. Was zur Folge hat, dass ich relativ resillient und stoisch bin, was das Wegstecken von Verlusten angeht. Ich versuche dann eher, mich auf das zu konzentrieren, was bleibt und was aus dem Verlust neu entstehen kann.

Sandra: Wie lebst du Trauer, wie äußert sich Trauer bei dir?

Luci: Trauer, so heißt es ja, ist eine Form von Liebe. So sehe ich das auch. Zwar tut diese Liebe oft entsetzlich weh – aber der Gedanke, dass es eben die Liebe ist, die sich da äußert, ist für mich in einem solchen Schmerz immer sehr tröstlich.

Sandra: Du bist mit einem eigenen Text bei der Anthologie „Sein oder Nichtsein – Suizid zwischen Wissenschaft und Kunst“ vertreten. Inwiefern betrifft dich das Thema Suizid persönlich -und/oder wovon handelt dein Text?

Luci: Ich habe leider schon so einige Menschen in meinem nahen Umfeld durch Suizid verloren und war in meinen Zwanzigern aufgrund einer Depression selbst suizidal. Von beidem handelt der Text – und davon, wie extrem dankbar ich dafür bin, noch hier zu sein und diese Lebensphase überwunden zu haben.

Sandra: Beim „Endlichkeitsdialoge”-Festival startest du die Veranstaltung nach der Eröffnung mit einer musikalischen Lesung aus deinem Buch „Wir Fünf und ich und die Toten“. Warum ist es dir ein Anliegen, aktiver, kreativer Teil der Veranstaltung zu sein?

Luci: Weil die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit Ängste überwinden hilft – und weil ich glaube, dass eine Welt, in der Menschen weniger Angst haben, eine bessere Welt ist.

Luci von Org Portraitfoto von Axel Hildebrand, Luci sitzt auf einer steinernen Treppe vor einer steinernen, hellen Wand, sie ist schwarz gekleidet und trägt Boots

Über die Interviewpartnerin: Auch wenn Luci van Org das „Mädchen“, mit dem sie mit Lucilectric Popgeschichte geschrieben hat, immer im Herzen trägt – heute ist „Cross-Media-Künstlerin“ sicher die treffendere Bezeichnung für die quirlige Berlinerin Jahrgang 1971. Die mittlerweile mehrfach preisgekrönte Roman-, Drehbuch- und Theaterautorin, Illustratorin und Schauspielerin hält natürlich auch der Musik noch die Treue, bei ihrem Soloprojekt Lucina Soteira, mit ihrem Duo Meystersinger oder als Songschreiberin und Produzentin für andere Künstler. Logisch, dass sie bei ihren Lesungen deshalb auch so gut wie immer musiziert und singt und ihre Bücher auch häufig selbst illustriert. Die schreibt die überzeugte Feministin übrigens schon seit 2018 komplett in gendergerechter Sprache, und zwar so geschickt, dass es gar nicht auffällt. Weil das geht – und weil sie es nötig findet.

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Foto: Axel Hildebrand

Porträtfoto Sandra Strauß, sw

Über die Autorin: Sandra Strauß, *1978, arbeitet und lebt in Leipzig. Geschäftsführerin und Produzentin, Studio-, Verlags- und Vertriebsleiterin von Glücklicher Montag sowie verantwortlich für Redaktion, Presse, Promotion, Marketing und Management. 

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Foto: Jan-Markus Holz, lebensart