„WEIHNACHTEN UND TOD” 7: Weihnachten – ein Fluchtversuch

von Barbara Rolf

„Wie fliehe ich vor Weihnachten, wenn ich in Trauer bin?”
Diese Frage höre ich oft. Und noch Jahre nach dem Tod meines Bruders stellte ich sie mir auch selbst. Allein der Gedanke an das unvermeidliche „Stille Nacht” versetzt mich in Panik, weil wir es nicht mehr singen konnten, ohne spätestens beim „holden Knaben” in bittere Tränen auszubrechen.
Kaum war das irgendwann wieder möglich, fehlte Oma. Bei ihr war es das „Süßer die Glocken nie klingen“. Und der leere Stuhl, auf dem sie am Heiligen Abend immer saß.
Dann fehlte auch noch Papa.
 
Wie halte ich Weihnachten aus, wenn die Familie, um die sich diese nicht enden wollende Festzeit dreht, nie wieder so sein wird, wie sie mal war? Wenn die Anzahl der Menschen, für die ich verzweifelt um Geschenkideen ringe, immer kleiner wird?
 
Und wie ist es erst für Menschen, die zu betrauern haben, dass sie gar keine Familie haben?  
Dieses Jahr war ich über den ersten Advent auf Teneriffa. Ich fragte mich, ob ein klimatisch so grundlegend anderer Kontext für eine Advents- und Weihnachtsflucht taugen könnte. Spätestens, als ich im Supermarkt war, war die Antwort klar: nein.
Weihnachtsmusik. Und Weihnachtsgebäck. Und Weihnachtsklimbim. Nicht weniger, eher noch mehr als bei uns zu Hause. Für die Menschen, die hier leben, schließen sich Weihnachten und sommerliche Temperaturen nicht aus.
 
Doch vielleicht liegt die Lösung gar nicht in einer Flucht – wohin auch?
Vielleicht liegt die Lösung darin, das eigene Bild von Weihnachten und den damit verbundenen Erwartungen zu überdenken. Frohsinn und Familienidylle satt – das mag zwar daraus entstanden sein. Doch die ursprüngliche Geschichte ist eine ganz andere. Ungewissheit, Armut, Ablehnung, Bedrohung, Angst, Dunkelheit. Da hinein fällt etwas Licht und eine vage Hoffnung, die Idee, dass Wunder auch an einem Tiefpunkt ihren Anfang nehmen können.
Vielleicht gelingt es mit dieser Perspektive, sich nicht trotz der Trauer, sondern gerade mit ihr auf Weihnachten einzulassen.
Porträtfoto Barbara Rolf von Foto: Isabell Steinert, Dazwischen, Freiburg, Barbara sitzt im Schneidersitz vor einer beigen Wand

Über die Autorin: Barbara Rolf ist Theologin und seit über 20 Jahren in der Bestattungsbranche tätig. Praktikantin, angestellte Bestatterin, Bestattungsunternehmerin, Trauerrednerin, Trauerbegleiterin, Sargträgerin, Abteilungsleiterin und Direktorin – die beruflichen Perspektiven, aus denen sie auf Sterben, Tod, Bestattung und Trauer schauen durfte, sind mannigfaltig. Hinzu kommen prägende persönliche Erfahrungen. Heute bündelt sie ihr Wissen und ihr Herzblut im Engagement für eine zeitgemäße und menschliche Sterbekultur.

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Foto: Isabell Steinert, Dazwischen, Freiburg